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Der Schwarze Phoenix

Titel: Der Schwarze Phoenix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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hatte, hier zu warten. Eine gedrungene Barkasse pflügte durch die Wellen auf ihn zu, mit einer Geschwindigkeit und Geschmeidigkeit, die er einem solchen Gefährt nicht zugetraut hätte. Obwohl sie dampfbetrieben war, brummte sie eher, denn zu dröhnen, und aus dem Schornstein stieg in sanften Kringeln Rauch auf. Die Barkasse war komplett schwarz lackiert, und Shaw bezweifelte, dass er sie überhaupt entdeckt hätte, wenn sie nicht direkt auf ihn zugehalten hätte.
    Das Boot drehte gefährlich nah am Ufer bei und schaffte es irgendwie, die Position auf den Wellen schaukelnd zu halten. Am Heck bewegte sich jemand, und eine Hand bedeutete Shaw, an Bord zu springen. Der Polizist sah sich um, stellte fest, dass ihn niemand beobachtete, und schwang sich über die Ufermauer auf den schmalen Absatz dahinter.
    Obwohl die Barkasse sich bemerkenswert ruhig hielt, war sie so weit vom Ufer entfernt, dass derSprung sich schwierig gestalten würde. Als Shaw zögerte, winkte die Hand nochmals, und von irgendwo her rief jemand: »Verflucht noch mal, kommen Sie schon!« Shaw reagierte instinktiv, sprang vom Ufer ab und landete mit einem dumpfen Schlag auf dem nassen Vorschiff. Sofort wurde er von einer Hand gepackt, die ihn hochzog, und während sich die Barkasse vom Ufer entfernte, wurde Shaw mit Nachdruck in die Kajüte geschoben. Seine unsichtbare Begleitung schloss hinter ihm die Tür und zog es offenbar vor, draußen an Deck zu bleiben.
    Zwei Männer erwarteten den Polizisten in der engen Kajüte. Der erste war massig wie ein Walross und grinste breit, als er aufstand, um Shaw zu begrüßen, ganz so, als träfe er einen alten Freund wieder. Vor ihm lag auf einer Platte ein Berg Hühnerschenkel, die bis auf die Knochen abgenagt waren. Der hünenhafte Begleiter des Walrosses hätte kaum einen krasseren Gegensatz darstellen können. In seinem gebügelten Anzug und seinem Zylinder wirkte er eher, als würde er zum Tanztee gehen und nicht zu einem geheimen Treffen. Sein Gesicht war zu einer dauerhaft verächtlichen Miene verzogen, die es ihm erleichterte, ein Monokel vor sein linkes Auge zu klemmen. Als er seinen Zylinder zum Gruß lüftete, stellte Shaw erstaunt fest, dass seine grauen Haare in steifen Büscheln vom Kopf abstanden und dabei aussahen wie getrocknete Pinsel in einem Becher.
    »Oberinspektor Shaw!«, rief der zweite Mann mit nasaler Stimme. »Ich kenne Sie von Fotos. Ich freuemich, dass Sie zu unserem Rendezvous kommen konnten.«
    »Ich gehe mal davon aus, dass Sie mir nicht Ihren Namen verraten werden«, entgegnete Shaw eisig.
    Ein höhnisches Lächeln huschte über das Gesicht des Mannes.
    »Warum sollte es mir etwas ausmachen, ob Sie meinen Namen kennen oder nicht? Ich bin Nicholas de Quincy, aber das wird Ihnen nicht weiterhelfen. Sie werden mich in Ihren Akten nicht finden.«
    Oberinspektor Shaw sank der Mut. Seit er den Umschlag erhalten hatte, hatte er gehofft, dass die Erpresser ganz gewöhnliche Strolche und Gangster von der Stange seien. Während er sich mit dem Starling-Fall beschäftigte, hatte er einen Einblick in eine andere, düstere Welt bekommen, und er hatte gehofft, diese Erfahrung nicht noch einmal machen zu müssen. Vergeblich, wie es schien.
    »Humphrey Granville«, sagte der erste Mann höflich. »Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Sir.«
    Er wischte seine fettverschmierte Hand an seinem Hemd ab und streckte sie Shaw entgegen. Wie betäubt schüttelte der Inspektor sie. De Quincy starrte ihn mit unverhohlener Verachtung an.
    »Ist dieser Idiot Rafferty nüchtern genug, dass man ihm das Ruder alleine überlassen kann?«
    Humphrey zuckte mit den Schultern.
    »Vermutlich nicht. Aber er steuert diese Art von Boot, seit er laufen kann. Ich denke, er kriegt das hin.«
    »Entschuldigen Sie …«, unterbrach ihn Shaw. »Aber was zur Hölle geht hier vor sich?«
    »Typisch Polizist – kommt gleich zur Sache!«, bemerkte de Quincy süffisant. »Das macht’s einfacher. Ich gehe davon aus, dass Sie den Umschlag erhalten haben, den ich Ihnen vor exakt einer Woche hinterlassen habe?«
    »Habe ich, und ich muss ihnen sagen, dass diese Fotos …«
    De Quincy machte eine abwehrende Handbewegung.
    »Das interessiert mich nicht«, unterbrach er schroff. »In Anbetracht der Tatsache, dass Sie hier sind, gehe ich davon aus, dass Sie meine Anweisungen befolgt haben? Schließlich wissen wir beide, was passieren würde, wenn dem nicht so wäre …«
    »Wagen Sie nicht einmal, daran zu denken, diese Bilder

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