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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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verschwinden werden. Aber es sind
ebenjene Unterschiede, die die Schweiz zu einem einzigartig vielfältigen und
deshalb so faszinierenden Land machen.
    Die Schweiz geopolitisch und auf emotionaler Ebene als
Einheit zu sehen ist selbst für manche Schweizer eine relativ neue Idee.
Dasselbe gilt für ihre Hauptstadt.

Eine Geschichte aus fünf Städten
    Jahrhundertelang waren die Kantone durch Verträge
aneinander gebunden, entwickelten sich aber, ähnlich wie die italienischen
Stadtstaaten, unabhängig voneinander. Deshalb hatte die Schweiz nie die eine
große Hauptstadt à la Paris oder London: Hier gab es
stets eine ganze Gruppe von mehr oder weniger gleichrangigen Städten. Auch
heute noch spielt jede dieser fünf großen Städte ihre besondere Rolle. Die
Bundeshauptstadt Bern ist das politische Zentrum; Basel dank den pharmazeutischen
Konzernen das industrielle; Lausanne als Sitz des Schweizerischen
Bundesgerichts das juristische; Genf mit dem europäischen Hauptsitz der
Vereinten Nationen das internationale und Zürich, die größte der fünf, ist das
Wirtschaftszentrum. Das ist, als würde man London in fünf Teile zerlegen und
über Großbritannien verstreuen. Dabei wäre allerdings jeder Teil größer als
Zürich mit seinen 375 000
Einwohnern. Wer einen Spaziergang durch die kopfsteingepflasterten
Fußgängerzonen der Zürcher Innenstadt macht, fühlt sich überhaupt nicht wie ein
Großstadtbesucher. Jedenfalls nicht, wenn er aus London oder New York kommt.
Für die Schweizer ist Zürich aber eine wahre Metropolis. Jedenfalls wird die
Stadt von ihren Bewohnern so verkauft, denn sie tragen die Nase gern ein
bisschen höher als die anderen Eidgenossen.
    Wie zwischen den Kantonen kann man auch die Rivalität
zwischen den großen Städten praktisch mit Händen greifen, und das nicht nur im
Fußballstadion. Zürich, das wirtschaftliche Nervenzentrum, fühlt sich allen
anderen überlegen, die ihrerseits die Zürcher für dreiste, arrogante
Zeitgenossen mit übergroßer Klappe halten. Die Berner hingegen mit ihrem
melodischen Dialekt werden gern als langsam, still und ziemlich altmodisch
abgetan, wenn man sie nicht gleich für Bauerntölpel hält. Basel ist zwar
berühmt für seine Fasnacht, bleibt aber den übrigen Schweizern im Grunde ein
Rätsel, als würde ihre grenznahe Lage die Stadt irgendwie suspekt machen. Und
niemand mag den FC Basel; sogar die Berner halten
eher zum FC Zürich als zum Basler Team. Alle drei
Städte sind deutschsprachig, sind sich also einig, dass man Genf und Lausanne,
die beiden französischsprachigen, vergessen kann. Vielleicht weil keine von
beiden so richtig schweizerisch wirkt. Genf ist zu international
beziehungsweise fast schon zu französisch, während Lausanne für Schweizer
Verhältnisse eine richtige Alternativkultur hat. Die mag im Vergleich zu
anderen Ländern unauffällig daherkommen, aber für die ernsten (Deutsch
sprechenden) Schweizer ist sie schon ziemlich gewagt.
    Was die fünf Metropolen und praktisch jede andere
Schweizer Stadt gemeinsam haben, ist, dass sie im letzten Jahrhundert keine
kleineren Unannehmlichkeiten wie Weltkriege erdulden mussten und daher eine
intakte mittelalterliche Altstadt besitzen. Zwar ist die meist von einem Ring
architektonischer Schandflecken umgeben nebst den Fabriken und der
Verkehrsinfrastruktur, auf die eine westliche Gesellschaft nicht verzichten
mag, aber im Vergleich zu vielen neueren urbanen Räumen erfreuen die Schweizer
Städte das Herz. Auf den ersten Blick könnten die Orte, vom Zug- oder
Trambahnfenster aus betrachtet, irgendwo in Mitteleuropa liegen. Sie sind
eindeutig nicht britisch – dazu gibt es zu wenig Ziegelbauten und nicht
annähernd genügend Müll – und auch nicht mediterran – dafür sind die Wohnhäuser
zu ehrwürdig und der Verkehr zu wohlerzogen. Aber sie wirken auch weder so
mürrisch wie manche deutschen noch so wichtigtuerisch wie manche französischen
Städte, fast als würde der Föhn auch ein wenig Exotik über die Alpen wehen, die
sich in der Bausubstanz niederschlägt.
    Vielleicht ist ja der Mix aus nördlicher Gediegenheit
und südländischer Lebensfreude die Erklärung, warum Schweizer Städte so oft in
den Listen der lebenswertesten Städte auftauchen, es könnte aber durchaus auch
etwas mit der Sauberkeit und

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