Der Schweizversteher
Kennenlernens preiszugeben â niemals.
Sollten Sie erwägen, mit einem Witz das Eis zu brechen, tun Sieâs nicht. Witze
werden im Familien- oder Freundeskreis erzählt, aber nicht unter Fremden oder
Geschäftspartnern. Den Schweizer Humor gibt es, ganz ehrlich, aber wie Sex und
Geld ist er ein Thema fürs traute Heim.
Wer all diese Klippen umschifft hat,
muss nur noch angemessen Abschied nehmen. Am Ende der Party vollzieht sich
dasselbe Ritual wie am Anfang, nur umgekehrt. Sie machen die Runde,
verabschieden sich händeschüttelnd, aber â und das ist die Kunst â Sie sprechen
die Person nun mit Namen an. SchlieÃlich wissen Sie jetzt, wie die Anwesenden
heiÃen. Jedem Gesicht den richtigen Namen zuzuordnen ist ein kleiner Mensa-
IQ
-Test, also warten
Sie am besten, bis sich ein anderer Gast zum Gehen rüstet. Wenn er oder sie
Hände schüttelt, bleiben Sie einfach ein, zwei Schritte dahinter und lauschen
aufmerksam, welcher Name gerade fällt. Dann sind Sie mit einem âWiedersehen,
Herr Schmidtâ und âBis bald, Petraâ an der Reihe und erhalten ein FleiÃbildchen
für Ihr gutes Gedächtnis. Diese Verabschiedung kann bis zu einer halben Stunde
dauern. Trotzdem, einfach den Gastgebern zu danken und den Versammelten dann
ein âAuf Wiedersehenâ
zuzurufen kommt nicht infrage; da könnten Sie sich genauso gut ein âNicht
gesellschaftsfähigâ
auf die Stirn stempeln lassen. Ich versuche immer noch, die meine reinzuwaschen.
â
Ein Ausflug in die Vergangenheit
Wie 700 Jahre eine Nation formten
Den 700.
Geburtstag ihres Landes begingen die Eidgenossen auf typisch schweizerische
Weise: mit der Einweihung eines FuÃwegs. Allerdings ist der Weg der Schweiz
nicht irgendein Wanderweg; vielmehr ist an ihm jeder einzelne Bewohner
beteiligt. 1991
wurde anlässlich des bedeutungsschweren Jahrestags beschlossen, einen 35
Kilometer langen Wanderweg rund um einen See anzulegen. In einem Land, das so
reich an ausgetretenen Pfaden ist wie die Schweiz, sticht er dadurch hervor,
dass je fünf Millimeter davon eine Einwohnerin oder einen Einwohner des Landes
repräsentieren. Wie exakt das ist! In diesem wahrhaft schweizerischen Ehrenmal
vereinen sich zwei groÃe Nationalleidenschaften: Wandern und die Aufmerksamkeit
fürs Detail. Kein anderes Land könnte auf so ein Projekt verfallen, geschweige
denn es so gut ausführen.
Aber damit ist es nicht getan. Jedem der 26
Kantone wurde ein Abschnitt des Weges zugeteilt, dessen Länge sich nach seiner
Einwohnerzahl im Jahr 1991
bemisst. Kleinere Kantone wie Schaffhausen erhielten ein paar Meter, während
die bevölkerungsreichen wie Zürich ein ordentliches Stück Seeufer beherrschen.
Grenzsteine markieren Anfang und Ende der Kantonalabschnitte, die in der
Reihenfolge des Beitritts in die Eidgenossenschaft aufeinanderfolgen. Der 35
Kilometer lange Weg symbolisiert also einerseits sieben Millionen Menschen und
andererseits 700
Jahre Geschichte, wobei die fünf Millimeter nicht nur für je einen Einwohner,
sondern auch für rund eine Stunde Schweizer Historie stehen. Und weil die
Kantone in chronologischer Reihenfolge erscheinen, tritt man hier eine
Wanderung durch die Geschichte des Landes an. Auf diesem Weg kann man in
Schweizer Erinnerungen schwelgen, und so nimmt er denn auch, wie es sich
gehört, an der Wiege der Schweiz seinen Anfang.
Am Anfang
Alles begann mit drei Männern, die auf einer Wiese
einen Eid leisteten. Ein nicht gerade dramatischer Startschuss für ein Land,
aber zur Schweiz von heute passt er: maÃvoll und friedlich, ohne BlutvergieÃen,
Kopfabhacken oder Gewehrkugeln. Besagte Wiese, das Rütli, liegt oberhalb des
Urnersees in der inneren Schweiz und ist nach wie vor nur mit dem Schiff oder
zu Fuà erreichbar. Warum die drei ihre kleine Schwur-Zeremonie ausgerechnet
hier abhielten und nicht in einem besser zugänglichen Rathaus oder am
häuslichen Herd, ist nicht ganz klar. Ãberhaupt liegen die Ereignisse vom 1.
August 1291
ziemlich im Dunkeln. Die Zahl der Teilnehmer, der Ort, der Eid und das Datum â
alles wurde schon einmal hinterfragt, aber so schleierhaft die wahre Geschichte
ist, das damals geschlossene Bündnis gilt als die Geburtsstunde der Schweiz.
Und seit 1891
erinnert das Land mit einem Bundesfeiertag am 1. August an seinen
Geburtstag â einer der wenigen nicht religiösen Festtage, der von allen
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