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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Wortes, wurde aber
nicht so genannt. Trotz ihrer nagelneuen Bundesregierung beschlossen die
Schweizer, den alten Namen zu behalten. Mochte er auch nicht akkurat sein, sie
fühlten sich damit einfach besser als mit der neumodischen Struktur, die so
zentralisiert und deshalb so ganz unschweizerisch wirkte. Und noch typischer
für die Eidgenossen: Der alte Name schlug einen Bogen zu ihrer Vergangenheit,
die für jede Schweizerin und jeden Schweizer von grundlegender Bedeutung ist.
    Wenn Sie einen Schweizer nach seinem Heimatort fragen,
erklärt er nicht unbedingt, wo er geboren wurde, sondern woher seine Vorfahren
stammen, wahrscheinlich aus einem kleinen Dorf an einem Berghang. Auch wenn
dort schon seit Generationen kein Angehöriger von ihm mehr lebt, steht trotzdem
dieses Dorf und nicht der Geburtsort in einem Schweizer Pass. Woher man kommt,
ist in der Schweiz ebenso wichtig, wie wohin man geht, und das gilt für das
Land ebenso wie für seine Bewohner.
    Ein offizieller Name, der den eigentlichen Charakter
des Landes nicht wiedergibt, mag paradox erscheinen. Die Schweizer finden das
aber ganz normal, weil die Schweiz selbst ein Paradoxon ist. Im Grunde ist sie
ein Land, das es gar nicht geben dürfte. Es trotzt sowohl Mutter Natur als auch
der menschlichen – mit Grenzen, die weder geografisch noch linguistisch und
auch nicht religiös oder politisch bedingt sind.

Im Herzen Europas
    Anders als bei amerikanischen Bundesstaaten sind die
Grenzen europäischer Länder meist nicht auf der Karte mit dem Lineal gezogen –
ohne sich um Komplikationen wie Flüsse und Berge zu scheren. Doch selbst nach
europäischen Maßstäben hat die Schweiz einen merkwürdigen Umriss. Ihre Grenzen
schlängeln sich hemmungslos durch die Gegend, folgen Flüssen, überspringen sie
dann, um am anderen Ufer eine Beule zu bilden, und laufen im Zickzack über
Seen, sodass eine schlichte Bootsfahrt mehrfache Grenzüberschreitungen mit sich
bringt. Im Grunde sieht das Land wie ein missratenes Puzzleteilchen aus, das
sich nicht so recht mit seinen Nachbarn verzahnen lassen will. Dann wieder wird
es zum lang vermissten Element, dem letzten, das noch gefehlt hat, um das
Puzzle zu vollenden. Ein Blick auf die moderne Landkarte Europas, und man
erkennt das schweizförmige Loch mitten in der Europäischen Union.
    Doch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet,
verwandelt sich die Schweiz von einem Loch im Herzen Europas in eine Insel
mitten in einem gewaltigen dunkelblauen Meer. Sie ist auf allen Seiten von der EU umzingelt, Österreich, Frankreich, Deutschland und
Italien hissen allesamt die goldbesternte Fahne. (Einzig das kleine
Liechtenstein hat den Beitritt bisher ebenfalls vermieden.) Das gebirgige Land
begnügt sich mit wenig Fläche (mit 41 285 Quadratkilometern ist es nur etwa doppelt
so groß wie Hessen und halb so groß wie Österreich), aber es wäre Europas
viertgrößte Insel – und auf jeden Fall die ungewöhnlichste, nicht zuletzt weil
sie keine Küste besitzt. Willkommen auf der Binneninsel!
    Lange Jahrhunderte ihrer Geschichte war die Schweiz
eine Anomalie mitten in Europa, eine Alpenrepublik, eingekreist von Monarchien
und Kaiserreichen, Diktatoren und Generälen. Gelegentlich spülten die Gezeiten
der Geschichte Treibgut über die Schweizer Grenzen, brachten europäische
Konflikte und Ideen in die entlegensten Bergtäler, aber die Schweiz hat es
stets geschafft, sich ihren Inselstatus zu bewahren, dessen sie sich noch heute
erfreut. Die Schweizer wissen seit Langem, dass ihr Land oft so isoliert
dasteht wie das entlegenste Eiland mitten im Ozean, und haben ihren Standort zu
ihrem Vorteil genutzt. Historisch wurde dies über die Kontrolle der Handelswege
erreicht oder über Versuche, aus der zwischen Großmächten eingeklemmten Lage
das Beste zu machen, und das tun die Schweizer heute noch. Was man sehr gut am
Beispiel des Duty-free-Handels sieht.
    Normalerweise ist der Duty-free-Shop nicht gerade ein
Spiegel für das Selbstbild einer Nation. Zwischen Regalen mit
Toblerone-Pyramiden, Smirnoff, Chanel und Marlboro entdeckt man zwar
gelegentlich »authentische« Souvenirs oder Delikatessen zu Höchstpreisen, aber
im Grunde sind solche Läden wie das Hilton oder Starbucks überall auf der Welt
gleich. In Schweizer Duty-free-Shops aber sah man – und sieht gelegentlich
immer noch – ein Plakat, das ebenso viel über

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