Die Frauen der Calhouns 05 - Megan
1. K APITEL
Von Risiken hielt sie grundsätzlich nichts. Bevor sie den nächsten Schritt unternahm, stellte sie sicher, dass der vorherige komplett zu Ende gebracht war. Das war Teil ihrer Persönlichkeit. Zumindest war es während der letzten zehn Jahre Teil ihrer Persönlichkeit geworden. Sie hatte sich angewöhnt, ausnahmslos praktisch zu denken und umsichtig zu handeln. Megan O’Riley war eine Frau, die abends lieber zweimal nachsah, ob sie auch wirklich die Haustür verschlossen hatte.
Für den Flug von Oklahoma nach Maine hatte sie sehr methodisch das Handgepäck für ihren Sohn und sich zusammengestellt. Ihre restliche Habe würde per Fracht nachgeschickt werden. Zeit mit Gepäck zu verschwenden, war ihrer Meinung nach unsinnig.
So war der Umzug auch keineswegs eine impulsive Entscheidung. Während der letzten sechs Monate hatte Megan alles genau durchdacht. Der Ortswechsel war ein praktischer und vorteilhafter Schritt zugleich, nicht nur für sie, sondern auch für Kevin. Es wird ihm sicherlich nicht schwerfallen, sich einzugewöhnen, dachte sie, als sie auf ihren Sohn blickte, der auf dem Fenstersitz neben ihr eingeschlafen war. Schließlich hatten sie Familie in Bar Harbor. Seit Kevin wusste, dass seine Mutter ernsthaft in Erwägung zog, zu seinem Onkel, seinem Halbbruder und seiner Halbschwester zu ziehen, konnte er vor freudiger Erwartung kaum an sich halten. Und da waren ja auch noch die Cousins und Cousinen. Vier neue Babys waren hinzugekommen, seit Megan und Kevin damals zur Hochzeit ihres Bruders mit Amanda Calhoun nach Maine geflogen waren.
Mit zärtlichem Blick betrachtete sie den schlafenden Kevin. Ihr kleiner Junge. So klein war er gar nicht mehr. Fast neun. Es würde ihm guttun, in einer großen Familie aufzuwachsen. Die Calhouns gingen weiß Gott verschwenderisch mit ihrer Zuneigung um.
Nie würde Megan vergessen, wie Suzanna Calhoun Dumont – jetzt hieß sie Bradford –, sie im vorangegangenen Jahr willkommen geheißen hatte. Obwohl Suzanna wusste, dass Megan die Geliebte von Baxter Dumont, Suzannas Exmann, gewesen war und sein Kind geboren hatte, war sie ihr mit offener Herzlichkeit entgegengekommen.
Allerdings stellte Megan auch ein geradezu erbarmungswürdiges Beispiel der »anderen Frau«, der Geliebten, dar. Sie hatte nichts von Suzanna gewusst, als sie sich vor vielen Jahren Hals über Kopf in Baxter verliebte. Siebzehn Jahre alt und unendlich naiv, hatte sie all die leeren Versprechen und Schwüre von der ewig währenden und einzig wahren Liebe geglaubt. Nein, sie hatte nicht einmal geahnt, dass Baxter Dumont mit Suzanna Calhoun verlobt war.
Bei Kevins Geburt war Baxter in den Flitterwochen gewesen. Den Sohn, den Megan O’Riley ihm gebar, hatte er bis heute nicht gesehen, geschweige denn die Vaterschaft anerkannt.
Jahre später, als das Schicksal beschloss, Megans Bruder Sloan und Suzannas Schwester Amanda zusammenzuführen, war die ganze Geschichte ans Licht gekommen. Und jetzt, mit den unvorhersehbaren Wendungen und Biegungen des Schicksals, würden Megan und ihr Sohn in dem Haus leben, in dem Suzanna und ihre Schwestern aufgewachsen waren. Kevin würde eine Familie haben, einen Halbbruder und eine Halbschwester – und ein Haus voller Cousins, Cousinen, Tanten und Onkel.
Das Haus … The Towers , dachte Megan mit einem stillen Lächeln. Ein beeindruckendes, wunderbares altes Gemäuer, das Kevin nur »das Schloss« nannte. Wie es wohl sein mochte, dort zu leben und zu arbeiten? Jetzt, nachdem die Renovierungen abgeschlossen waren, wurde ein großer Teil des Hauses als Hotel genutzt. » The Towers Retreat« gehörte nun zur St.-James-Hotelkette. Ein Projekt, realisiert von Trenton St. James III, der die jüngste Calhoun-Schwester, Catherine, geheiratet hatte.
Die St.-James-Hotels waren weltweit als Häuser von gehobenem Stil und Klasse bekannt. Das Angebot, die Leitung der Firmenbuchhaltung zu übernehmen, war – auch nach reiflicher Überlegung – einfach zu gut gewesen, um es auszuschlagen.
Außerdem freute Megan sich unendlich darauf, ihren Bruder wiederzusehen. Genauso, wie sie sich auf den Rest der Familie freute. Und auf The Towers .
Falls sie ein kleines bisschen Nervosität verspürte, so ermahnte sie sich, dass das schlichtweg töricht war. Der Umzug war ein praktischer und nur logischer Schritt. Der neue Titel als »Leiterin der Unternehmensbuchhaltung« versöhnte sie mit enttäuschten Ambitionen. Und auch wenn Geld eigentlich nie das Problem gewesen war, so
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