Der Schwur der Königin
nach so langer Zeit wiederzusehen.«
Seine Ansprache klang wie eingeübt. Ich wich so weit zurück, wie es noch als höflich gelten konnte, und schenkte ihm ein vorsichtiges Lächeln. Jetzt, da wir uns erneut gegenüberstanden, wallten in mir die Erinnerungen an all das auf, was zwischen uns geschehen war – und dazu all der an mir nagende Zweifel. Wie konnte ich diesem sonderbaren, chamäleonhaften König je trauen, der in seinem Land so viel Leid zugelassen hatte und gegen seinen eigenen Bruder zu Felde gezogen war, nur um ein Kind zu verteidigen, das gar nicht von ihm stammte, wie er jetzt überall verkündete?
»Auch ich freue mich, Euch zu sehen«, antwortete ich schließlich, mir seines durchdringenden Blicks nur zu bewusst. Während meiner letzten zwei Jahre am Hof hatte er mich kaum zu Gesicht bekommen, und jetzt war ich nicht mehr das leicht zu beeindruckende kleine Mädchen, als das er mich noch in Erinnerung haben musste. In diesem Moment war ich Beatriz unendlich dankbar für ihre Entschlossenheit, mich in edle Stoffe zu hüllen. Auf Enrique musste ich jetzt wirken, als wäre ich drauf und dran, ihm das Zepter zu entreißen und seinen Thron zu besteigen.
Ein wenig Angst – so viel hatte ich inzwischen gelernt – konnte durchaus für Respekt sorgen.
Er scharrte mit den Füßen, als wäre er auf etwas Widerwärtiges getreten. Mit geschürzten Lippen sagte er: »Ich bin froh, dass du dich für Gehorsam entschieden hast. Als meine Erbin gewähre ich dir Vorrang vor allen anderen und gebe dir die Städte Ávila, Medina del Campo, Escalona sowie …« Seine Stimme verlor sich, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck schmerzlicher Unsicherheit an.
»Huete, Oviedo, Molina, Olmedo und Ocaña«, half ich ihm. »Dazu die Mittel für den Unterhalt meines Hofstaats in derjenigen dieser Städte, wo ich ihn einzurichten gedenke, sowie das Recht, jede mir vorgeschlagene Verheiratung abzulehnen, wenn sie nicht meinem ausdrücklichen Wunsch und der Zustimmung der Cortes entspricht.« Letzteren Zusatz zitierte ich auswendig aus dem zwischen uns ausgehandelten Vertrag, was Enrique ein erstauntes Blinzeln entlockte.
»Ja«, murmelte er, »natürlich. Was immer du sagst.«
»Ich verlange nur das, worauf wir uns geeinigt haben. Mehr will ich gar nicht.«
Unter einem seiner Augen zuckte die Haut. Plötzlich kroch mir eine lähmende Furcht durch alle Glieder. Ich hörte den Wind über die mit Flechten bewachsenen, gedrungenen Stiere hinwegfegen und in den dunklen Umhängen der Edelmänner knattern.
Enrique hatte den Blick abgewandt. Ich winkte Carrillo zu mir. Sofort setzte sich der Erzbischof in Bewegung, begleitet von Cárdenas, der für ihn ein tragbares Pult hielt, auf dem der Vertrag festgenagelt war. Gleichzeitig glitt Villena auf uns zu, um wie ein öliger Schatten seinen Platz an Enriques Seite einzunehmen.
»Wenn wir weiterhin handelseinig sind …?«, knurrte Carrillo, womit er deutlich zu verstehen gab, dass er viel lieber das Pult mitsamt dem Vertrag von sich geschleudert und das Schwert gezückt hätte.
Ich blickte Enrique unverwandt an. Mein Mund wurde jäh trocken. Einen schier endlosen Moment lang zeigte Enrique keine Regung, brachte kein Wort hervor. Schließlich griff er nach der Feder. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
»Hiermit regele ich die Erbfolge in diesem Reich zugunsten von Doña Isabella, meiner Schwester!«, dröhnte er. »Kraft dieses Dokuments ist sie ab sofort die Prinzessin von Asturien und Inhaberin des Anspruchs auf sämtliche zu besagtem Titel gehörende Anwesen, Mieten und Zölle. Sie ist meine einzige legitime Erbin, die nach meinem Tod zur Königin ausgerufen werden soll. Ich gelobe, diese Bestimmung im ganzen Reich verkünden zu lassen und der nächsten offiziellen Versammlung der Cortes zur Beglaubigung vorzulegen.«
Damit beugte er sich über das Pult und kritzelte seine Unterschrift auf das Blatt. Villena zog den Siegelring von Kastilien hervor, tauchte ihn in rotes Wachs und drückte ihn auf das Dokument.
»Und ich, Isabella«, erklärte ich, sobald mir der Gänsekiel gereicht wurde, »gewährleiste um des Friedens und der Ruhe in diesem Reich willen, dass mein Bruder, der König, in seinem Amt bleiben wird, solange er lebt, und ich mich in dieser Zeit damit begnügen werde, den Titel der Prinzessin von Asturien, der einzigen Thronfolgerin Kastiliens, zu tragen.«
Auch ich unterschrieb.
Während die Siegel trockneten und die Tinte mit Sand bestreut wurde, umarmten
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