Toedlicher Staub
Ein Schwarm Rebhühner flatterte auf, als der kleine Geländewagen vorüberkam. Nina bremste ab, um auf eine Piste einzubiegen, die sich in der Macchia verlor. Der Stachelginster kratzte an den Seiten des Wagens entlang. Am liebsten hätte sie die Klimaanlage ausgestellt, die Fenster geöffnet und die Düfte des Sommers ungehindert hereingelassen, aber es hatte seit mindestens drei Monaten nicht mehr geregnet, und die Reifen wirbelten dicke weiße Staubwolken auf. Sie fuhr an einer von schwärzlichen Kiesadern durchzogenen Wand aus Kalkstein entlang, dann steil bergab durch ein ausgetrocknetes Bachbett. Ihre Fahrt endete vor einem rostigen Tor.
Der alte Balloi erwartete sie umgeben von seinen Hunden im Schatten einer Steineiche. Er nickte ihr zu und ging langsam zu dem verlassenen Schafstall hinüber. Die Schafe brachte er bei diesen Gelegenheiten immer weg. Nina wartete, bis der Hirte den Eingang erreicht hatte, erst danach stieg sie aus dem Wagen, öffnete die Ladeklappe und holte eine Plastikkiste heraus.
Balloi nahm seine Baskenmütze ab und wischte sich mit einem sauberen weißen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Sein Gesicht war wie aus Holz geschnitzt. Tiefe Falten, von der Zeit und den Mühen eines Lebens gezogen, das keine Erholungspausen kennt. Wie sein Vater und der Vater seines Vaters.
»Es ist das vierte, Frau Doktor«, sagte er leise.
Nina nickte. Sie zog ein paar Banknoten aus der Hosentasche und reichte sie ihm. »Wie geht es den anderen?«
Der Hirte zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, gut. Sie wissen ja, ich gehe da nicht so nah ran.«
»Ich schaue nachher mal nach ihnen.«
Sie betrat den Stall und betrachtete den winzigen, am Boden liegenden Kadaver. Als Erstes machte sie ein paar Aufnahmen, dann bettete sie ihn in die mit Trockeneis gefüllte Kiste.
Balloi war weggegangen, genau wie die anderen Male, als wollte er nichts mit der Sache zu tun haben. Nina lud die Kiste ein, nahm ihre Tasche und lief zu einer kleinen Einzäunung. Zufrieden mit dem, was sie dort sah, machte sie rund zwanzig Minuten lang Notizen.
Im Schritttempo rollte sie durch das Tor hinaus. Der Hirte wanderte einen Pfad entlang, den Rücken ihr zugewandt. Nur die Hunde drehten sich um und starrten dem Geländewagen nach, bis die Macchia ihn verschluckt hatte.
Auf dem schmalen schwarzen Asphaltband der Provinzstraße mit ihren scharfen Kurven betrachtete sie die träge kreisenden weiß-roten Flügel der Windkraftanlagen.
Eigentlich hätte sie den Inhalt der Kiste sofort zu Hause in der Kühltruhe verstauen müssen, doch nachdem sie rasch überschlagen hatte, wie lange das Trockeneis hielt, beschloss sie, sich den Luxus eines Bades zu leisten.
Der Strand war menschenleer. Im Mastixgebüsch zog sie sich den Badeanzug über und lief zum Wasser. Es war kalt, bis gestern hatte der Mistral die Küste gepeitscht. Sie fröstelte. Endlich holte sie tief Luft, sprang hinein und tauchte bis zum Grund. Sie grub die Hände in den Sand, stieß sich ab und schwamm zur Oberfläche zurück.
Es war bereits der siebenunddreißigste Tag, an dem Pierre Nazzari auf dem Sofa in der Hotelhalle in Cagliari saß und so tat, als lese er Zeitung. Er kam immer kurz vor sieben und blieb bis elf. Das Personal hatte Anweisung, ihn nicht zu beachten. Alle hielten ihn für einen Bullen, doch das war er nicht. Die Carabinieri, die echten, hatten ihm gesagt, vielleicht – und sie betonten das »vielleicht« – würde hier ein Mann vorbeikommen, den nur er allein mit Sicherheit identifizieren konnte. Nach der ersten Woche hatte er gemeint, das werde wohl nie geschehen, aber die Carabinieri erinnerten ihn daran, dass er nichts Besseres zu tun hatte, als da zu sitzen. Sie hatten recht. Außerdem war es für Nazzari wichtig, ihn hier zu sehen. Die Sache abzuschließen, würde auch bedeuten, seine Rechnung mit den Bullen zu begleichen.
Um Viertel vor neun hatte er bereits die ausführlichen Berichte von den Wettkämpfen des Vortags bei den Olympischen Spielen in Peking studiert. Abgesehen vom Fußball hatte er sich nie für Sport interessiert, jetzt war er sogar über Gewicht und Länge der Wurfspeere informiert.
Eine Minute danach traten zwei gutgekleidete Männer mit verschlafenen Gesichtern aus dem Fahrstuhl und gingen in den Frühstücksraum. Ganz sicher Maghrebiner. Der Informant hatte darauf hingewiesen, dass der Gesuchte von zwei Tunesiern begleitet würde.
Pierre dachte sofort, heute könnte der Tag X sein, und konnte sich nicht mehr auf
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