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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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haben ihm denselben mitgetheilt.«
    »Ich? Unmöglich! Das müßte ich doch wissen! Wann sollte das geschehen sein?«
    »Soeben jetzt.«
    »Sir, ich begreife Sie nicht!« rief die Dame höchst erstaunt.
    »Ich werde Ihnen behülflich sein, mich zu verstehen. Erlauben Sie mir nur, eine kleine Veränderung meiner Person vorzunehmen.«
    Bei diesen Worten nahm ich die dunkle Perrücke, den Vollbart und auch die Brille ab. Die Dame trat erschrocken zurück.
    »Um Gotteswillen!« rief sie aus. »Sie sind nicht ein Redacteur, sondern jener Deutsche! Sie haben mich betrogen!«
    »Ich mußte das thun, weil man Sie vorher getäuscht hatte. Die Geschichte mit der Mulattin ist vom Anfang bis zum Ende eine Lüge. Man hat mit Ihrem guten Herzen Mißbrauch und Spott getrieben. Clinton ist gar nicht der Sekretär Williams. Er heißt in Wahrheit Gibson und ist ein höchst gefährlicher Betrüger, den ich allerdings unschädlich machen soll.«
    Sie sank wie ohnmächtig auf den Sessel nieder und rief:
    »Nein, nein! Das ist unmöglich! Dieser liebe, freundliche, prächtige Mann kann kein Betrüger sein. Ich glaube Ihnen nicht.«
    »Sie werden mir glauben, sobald Sie mich angehört haben. Lassen Sie mich Ihnen erzählen!«
    Ich unterrichtete sie über den wirklichen Stand der Angelegenheit und hatte den Erfolg, daß ihre bisherige Sympathie für den »lieben, freundlichen, prächtigen« Sekretär sich in den heftigsten Zorn umwandelte. Sie sah ein, daß sie in schmählichster Weise belogen worden sei, und gab mir schließlich sogar ihre Genugthuung darüber zu erkennen, daß ich in Verkleidung zu ihr gekommen sei.
    »Hätten Sie das nicht gethan,« sagte sie, »so hätten Sie nicht die Wahrheit von mir erfahren und wären meiner Weisung gemäß gen Norden nach Nebraska oder Dakota gedampft. Das Verhalten dieses Gibson-Clinton erfordert die allerstrengste Ahndung. Ich hoffe, daß Sie sofort aufbrechen, um ihn zu verfolgen, und bitte Sie, mir von Quintana aus zu schreiben, ob es Ihnen gelungen ist, ihn dort festzunehmen. Auf dem Transporte nach New-York müssen Sie mir ihn hierher bringen, damit ich ihm sagen kann, wie sehr ich ihn verachte.«
    »Das wird wohl kaum möglich sein. Es ist nicht so leicht, sich in Texas eines Menschen zu bemächtigen und ihn nach New-York zu bringen. Ich würde äußerst zufrieden sein, wenn es mir gelänge, William Ohlert aus den Händen seines Verführers zu befreien und wenigstens einen Theil der Summen zu retten, welche beide unterwegs einkassirt haben. Für jetzt aber würde es mich außerordentlich freuen, von Ihnen vernehmen zu können, daß Sie die Deutschen nicht länger für Barbaren halten, welche nicht lieben können. Es hat mich geschmerzt, meine Landsleute grad von Ihnen so verkannt zu sehen.«
    Die Antwort war eine Entschuldigung ihrerseits und die Versicherung, daß sie sich von ihrem Irrthume bekehrt fühle. Wir schieden in herzlichster Weise von einander, und als ich langsam die Treppe hinabstieg, hatte ich das sehr wohlthuende Gefühl, einen Geniestreich ausgeführt zu haben, welcher in den Annalen des ehrenwerthen Master Josy Tailor wohl kaum seines Gleichen fand.
    Darum klang mein Ton wohl etwas sehr von oben herab, als ich den beiden vor dem Hause wartenden Polizisten sagte, daß die Angelegenheit erledigt sei. Ich drückte ihnen ein Trinkgeld in die Hände und bewegte mich in sehr aufrechter Haltung von dannen. Es geht doch nichts über die wohlthuende Erkenntniß, ein Kerl zu sein, mit dem sich Andere nicht vergleichen dürfen!
    Natürlich mußte ich möglichst schnell nach Quintana und suchte zunächst nach einem Schiffe, welches dorthin ging. Die Gelegenheit war mir nicht günstig. Ein Dampfer lag bereit, nach Tampico zu gehen, legte aber auf der Tour nirgends an. Schiffe, welche mich nach Quintana gebracht hätten, gingen erst in einigen Tagen ab. Endlich fand ich einen schnellsegelnden Klipper, welcher Ladung für Galveston hatte und nach Mittag abgehen wollte. Mit ihm konnte ich fahren. In Galveston hoffte ich, schnelle Gelegenheit nach Quintana zu finden. Ich ordnete schnell meine Angelegenheiten und ging an Bord.
    Leider sollte meine Erwartung, in Galveston ein Schiff nach Quintana zu finden, nicht zutreffen. Ich fand eine Gelegenheit über dieses Ziel hinaus, nach Matagorda, am Ausflusse des östlichen Colorado. Doch wurde mir versichert, daß es mir leicht sein werde, von dort schnell zurück nach Quintana zu kommen. Das veranlaßte mich, diese Gelegenheit zu benutzen, und

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