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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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seines Vaters erfuhr. Er war wütend auf Sie. Er hat Sie beschimpft und bespuckt. Aber er hatte vermutlich Hemmungen, Ihnen Schlimmeres anzutun. Sie sind schließlich seine Schwester. Was, wenn er seine Wut an anderen Frauen ausgelassen hat?«
    »Nein!«, stieß Kerstin Förster hervor. »Sebastian würde nie einer Frau wehtun. Das kann er gar nicht.«
    Halverstett sah in ihren Augen, wie ihr Glaube an ihre eigenen Worte bröckelte. »Aber sicher sind Sie sich nicht«, sagte er leise.
    Sie schüttelte den Kopf und fing lautlos an zu weinen. »Bis unsere Mutter vor einem halben Jahr starb, lebte er bei ihr in Köln«, erzählte sie. »Sie müssen wissen, Mama war nach Papas Tod nicht mehr dieselbe. Sie erzählte allen, er sei nach Australien ausgewandert. So lange, bis sie es selbst glaubte. Gleichzeitig hat das schlechte Gewissen sie von innen her aufgefressen, sie um den Verstand gebracht. Sie wurde mit einem Mal sehr religiös, hat ständig in der Bibel gelesen und Sebastian und mich zweimal in der Woche in die Kirche geschleift. Wir mussten vor dem Essen lange Gebete sprechen und jeden Abend einen Vers aus dem Neuen Testament auswendig lernen. Ich vermute, mit zehn Jahren kannte Sebastian die Paulusbriefe besser als andere Jungen in dem Alter Lucky Luke oder Asterix .« Sie lächelte schwach. »Vor etwa zwei Jahren geschah in einem Waldstück ganz in der Nähe von Mamas Wohnung etwas Seltsames. Eine Frau wurde angegriffen und mit Steinen beworfen. Sebastian kam ihr zu Hilfe, der Täter floh. Die Frau wurde glücklicherweise nur leicht verletzt. Leider haben weder mein Bruder noch das Opfer den Angreifer gesehen.« Sie stockte. »Ich hatte damals den Verdacht, dass es Sebastian selbst war, der die Frau angriff und sich dann als ihr Retter ausgab. Er stand zu dem Zeitpunkt kurz vor der Aufnahme an die Fachhochschule für Verwaltung und war überglücklich, dass es noch geklappt hatte, obwohl er schon fast dreißig war. Ich dachte, er wollte seine Polizeikarriere mit einer Heldentat beginnen.«
    »Tolle Heldentat«, entfuhr es Rita.
    »Ist Ihnen in den letzten zwei Wochen nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen, dass Ihr Bruder etwas mit diesen Steinigungen zu tun haben könnte?«, fragte Halverstett mit scharfer Stimme. »Sie wussten, oder vermuteten zumindest, dass er schon einmal eine Frau auf diese Weise angegriffen hatte. Und Sie wussten, dass er sehr verstört war.«
    »Aber er wollte sie doch nicht töten. Im Gegenteil, er wollte ihr Retter sein!« Sie zog ein Taschentuch aus ihrem Rock und tupfte sich damit die Augen. »Sebastian ist kein Mörder!«
    »Und was ist mit Ihnen?«, fragte Halverstett. »Sind Sie eine Mörderin?«
    Sie starrte ihn an.
    »Ihr Vater ist erschlagen worden. Wie ist das passiert?«
    Kerstin Förster knetete das Taschentuch in ihren Händen. »Es war Notwehr«, flüsterte sie.

49

    Sommer 1984
    Er hört laute Stimmen über sich. Bestimmt hat er geschlafen, und die Stimmen haben ihn geweckt. Aber warum sind sie über ihm? Es ist dunkel und riecht komisch. Seine Nase fühlt sich dick an, als hätte er Schnupfen. Er will sich umdrehen und stößt mit der Schulter an etwas Hartes. Die Truhe. Er ist immer noch in der Truhe. Wie lange wohl schon? Er hat Hunger. Und aufs Klo muss er auch. Das Abendessen ist sicherlich längst vorbei. Vielleicht muss er die ganze Nacht in der Truhe bleiben. Oder noch länger. Was, wenn sie ihn nie wieder herauslassen und er verhungert? Vielleicht haben sie ihn vergessen? Er hat plötzlich furchtbare Angst und fängt an zu weinen.
    Wieder hört er von oben die lauten Stimmen. Sie sind genau über ihm, ungefähr dort, wo die Treppe in den ersten Stock führt.
    »Du nichtsnutzige Schlampe!«, schreit Papa wütend.
    »Papa, bitte!« Kerstins Stimme.
    »Sie ist doch nur zehn Minuten später gekommen.« Mama ist kaum zu verstehen, sie spricht ganz leise.
    »Zehn Minuten oder zehn Stunden, das ist scheißegal. Zu spät ist zu spät. Sie sollte um neun zu Hause sein. Sie ist sowieso viel zu jung für solche Partys. Ich will nicht, dass meine Tochter in der Gegend herumhurt.«
    »Bitte, Wolf. Lass sie in Ruhe.«
    »Wenn sie herumhuren will, kann sie das haben!« Papa ist jetzt richtig böse. Er hört das an seiner Stimme.
    »Bitte, Papa, lass mich los. Du tust mir weh.«
    »Du bekommst jetzt, was du willst. Also halt die Klappe, und stell dich nicht so an.«
    Es poltert auf der Treppe über ihm. Kerstin weint. Papa brüllt: »Halt still, du Flittchen. Ich zeig dir,

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