Der Seele weißes Blut
Ist eine uralte Hinrichtungsart. Angewendet zumeist bei den klassischen Delikten, vor allem Gotteslästerung und Ehebruch.«
Meier schnaubte, Lydia warf ihm einen warnenden Blick zu. Köster blätterte in den Computerausdrucken, die vor ihm auf dem Tisch lagen, und fuhr fort. »Im Gegensatz zu den anderen beiden Religionen wird die Steinigung in einigen islamischen Ländern heute noch – oder besser gesagt – heute wieder praktiziert. Beispielsweise in Afghanistan, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien, im Iran und in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Betroffen sind überwiegend Frauen. Das liegt daran, dass es zur Verurteilung einer bestimmten Anzahl männlicher Zeugen bedarf. Die sind bei weiblichen Angeklagten natürlich viel leichter aufzutreiben. Besonders perfide ist auch, dass sogar die Beschaffenheit der Steine vorgeschrieben ist. Sie dürfen nicht größer als die Wurfhand sein, damit der Tod nicht zu schnell eintritt.«
»Das ist ja pervers«, murmelte Salomon.
»Und es trifft auf die Steine zu, die in unserem Fall verwendet wurden«, ergänzte Schmiedel trocken. »Gibt es sonst noch Parallelen zwischen unserem Mord und Steinigungen in islamischen Ländern?«
Köster nickte. »Das Eingraben ist auch üblich. Damit der oder die Verurteilte nicht weglaufen kann. Allerdings gewöhnlich nur bis zur Hüfte oder bis zur Brust. Nicht bis zum Hals.«
»Unser Opfer war nackt und an Armen und Beinen gefesselt«, sagte Lydia. »Wie ist es damit?«
»Keine Übereinstimmung«, antwortete Köster. »Im Gegenteil, ein gewisser al-Dschaziri, ein Theologe, hat vorgeschrieben, dass der Verurteilte nicht gefesselt werden soll. Und der Körper einer Frau darf unter keinen Umständen entblößt werden, weshalb man ihr die Kleider am Leib festbinden muss.«
»Na ja, da teilt offenbar jemand die Meinung dieses al-Dschaziri nicht«, bemerkte Meier sarkastisch.
Salomon klopfte nachdenklich mit seinem Kugelschreiber auf die Tischplatte. »Wenn das wirklich eine Hinrichtung nach der Scharia war, dann könnten wir es mit einer Gruppe von Tätern zu tun haben. Mit irgendwelchen durchgeknallten Islamisten, die eigenmächtig Recht sprechen.«
»In dem Fall sitzen wir richtig in der Scheiße«, ergänzte Meier. »Wenn das publik wird, geht es wieder los mit Kopftuchdebatte und Moscheebau und all dem Mist. Die große Spielwiese für Fanatiker aller Couleur. Und morgen ruft der Innenminister an und mischt sich in unsere Ermittlungen ein. Prost Mahlzeit.« Er sprang auf und begann, vor dem Fenster hin und her zu laufen.
»Nun mal nicht den Teufel an die Wand«, sagte Schmiedel. »Noch wissen wir nichts. Vielleicht hat unser Mord einen ganz anderen Hintergrund. Wir wissen ja nicht einmal, ob die Frau tatsächlich Muslimin war.«
»Gab es da nicht vor einigen Jahren einen Fall in Frankreich?«, fragte Lydia. Sie sah Köster an. »Da wurde doch eine Frau von ein paar Jugendlichen gesteinigt.«
Gerd Köster nickte und fischte ein Blatt aus den Unterlagen. »Das war 2004. Sie hieß Ghofrane Haddaoui und stammte aus Tunesien. Wurde von drei jugendlichen Landsleuten zu Tode gesteinigt. Das Motiv war unklar, doch offenbar fühlte sich der Haupttäter von ihr zurückgewiesen. Also keine Steinigung auf Grundlage der Scharia. Eher eine besonders brutale Einzeltat. Ihr Tod gilt als die erste Steinigung in Europa und hat entsprechend Aufsehen erregt.«
»Und jetzt haben wir hier die zweite. Ausgerechnet in Düsseldorf. Na prima.« Meier ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen.
»Bitte spar dir deine zynischen Kommentare, Meier«, fuhr Lydia ihn an. »Die helfen uns nicht weiter. Wir haben einen Mord aufzuklären. Der Rest interessiert erst mal nicht.« Sie räusperte sich. »Wir halten die Details über die Todesart, so lange es geht, vor der Presse zurück. Ich möchte, dass wir ohne Druck von Seiten der Medien oder der Politik arbeiten können. Mord ist Mord, und ich will den Täter finden. Sein Motiv interessiert mich nur insoweit, wie es mich zu ihm führt. Punkt.« Sie sah Köster an. »Köster, du behältst das mit der Steinigung im Auge. Vielleicht findest du ja eine Verbindung zu der Schnitzerei in dem Baum. Einen islamischen Gesetzestext mit dem Kürzel RI1924. Was weiß ich. Hat jemand weitere Anmerkungen oder Ideen?«
»Ja, ich«, sagte Salomon. »Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach, mit was wir es zu tun haben, falls es kein Ehrenmord war. Und, ehrlich gesagt, die Vorstellung gefällt mir nicht.«
»Die Vorstellung,
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