Der Seelenfänger
beim Kaffee machte Andrew schließlich den Mund auf. »Ich werde euch am Wochenende verlassen.«
»Aber du bist doch erst vor einem halben Jahr nach Hause gekommen«, sagte seine Mutter vorwurfsvoll.
»Stimmt«, sagte sein Vater. »Er ist vor einem halben Jahr nach Hause gekommen und hat seither keinen Finger krummgemacht. Den ganzen Tag über liegt er im Bett und nachts treibt er sich rum und raucht Hasch und weiß Gott was. Das hat er alles bloß aus der Armee. Nicht ein einziges Mal ist er zu mir in den Laden gekommen und hat gefragt: >Kann ich was helfen?< Die Zeit bei der Armee hat ihn völlig versaut. Er ist jetzt fünfundzwanzig, und es wird Zeit, daß er sich überlegt, was er eigentlich will. Als ich so alt war wie er, war ich schon verheiratet und trug Verantwortung.«
»Was hast du denn vor, Constantine?« fragte die Mutter.
»Ich weiß noch nicht. Ich fühle mich zu etwas berufen, doch ich weiß noch nicht genau, was es ist. Ich glaube, ich habe den Auftrag, den Menschen Gottes Wort zu verkünden, aber ich weiß noch nicht, wie ich das tun soll und für wen meine Botschaft bestimmt ist. Ich weiß nur, daß ich zu viele Menschen sterben gesehen habe, die nicht für ihre Seele gesorgt und das ewige Leben verloren haben, das ihnen Jesus Christus versprochen hat.«
Sein Vater starrte ihn an. »Wenn du das wirklich glaubst, warum bist du dann nicht in die Kirche gegangen und hast mit dem Pfarrer gesprochen?«
»Ich bin ja bei ihm gewesen. Sehr oft sogar, Vater. Aber er kann mir nicht helfen. Ich finde, daß Gott für alle Menschen da ist, nicht nur für die Unitarische Kirche. Ich glaube, Gottes Gemeinde ist größer.«
»Unsinn«, knurrte der Vater. »Du bist bloß zu faul, dir eine richtige Arbeit zu suchen. Es genügt dir vollkommen, deinen Veteranenscheck und das Verwundetengeld zu kassieren, wenn du nur auf der faulen Haut liegen kannst.«
»Constantine«, sagte die Mutter.
Er drehte sich zu ihr um.
»Bist du fest davon überzeugt?«
»Ja, das bin ich.«
Die Mutter wandte sich an den Vater. »Es steht uns nicht zu, darüber zu rechten«, sagte sie. »Wir müssen ihn seinen Weg gehen lassen. Es könnte sein, daß er recht hat und daß in jeder Seele Gottes Gemeinde wohnt.«
Drittes Kapitel
Der Fahrer des Streifenwagens steckte den Kopf durch die Tür. »Sie sind alle sauber, Sergeant. Gegen keinen liegt irgendwas vor.«
Der Sergeant nickte und gab ihm Preachers Führerschein und den Kraftfahrzeugschein. »Lassen Sie den bitte auch noch durchlaufen, Tom.«
Der Fahrer verschwand.
»Sie trauen wohl niemandem, was?« fragte Preacher.
»Mißtrauen gehört zu meinem Beruf«, erklärte der Sergeant. »Wie lange wollen Sie hier in der Stadt bleiben?«
»Nur übers Wochenende. Die Gemeinde braucht Bargeld für Saatgut und Dünger. Es ist alles teurer, als wir gedacht haben.«
»Was bauen Sie an?«
»Klee, Sonnenblumen, Färberdisteln und Wachsbohnen. Außerdem Obst und Gemüse. Wir sind Vegetarier und versuchen, uns selbst zu versorgen.«
Der Sergeant nickte. Das paßte. »Wieviele seid ihr in eurer Kommune?«
»Ungefähr fünfundvierzig«, erwiderte Preacher. »Aber es werden ständig mehr. Jede Woche kommen ein oder zwei Neue.«
»Alles Mädchen?« fragte der Sergeant.
Preacher lachte. »Nein. Es gibt ungefähr fünfzehn Männer in der Gemeinde.«
»Mitgebracht haben Sie keinen davon, oder?«
»Sie werden für die schwere Arbeit auf den Feldern gebraucht. Die Mädchen waren die einzigen, die wir entbehren konnten in der Gemeinde.«
Der Sergeant warf ihm einen anerkennenden Blick zu. Der Mann war nicht dumm. Er wußte, daß es für Mädchen leichter war, Geld zu sammeln, als für Männer. Die Passanten fanden sie sympathischer und hatten auch keine Angst, wenn ein Mädchen sie ansprach.
Der Streifenbeamte kam wieder zurück. »Auch sauber«, sagte er und gab seinem Vorgesetzten Preachers Papiere.
Der Sergeant hatte noch eine Frage. »Aber ihr könnt doch nicht alle im Bus schlafen, oder?«
Wieder lächelte Preacher. »Der Besitzer der Lagerhalle da drüben war so nett, uns Unterkunft zu gewähren. Für zehn Dollar die Nacht. Da schlafen die Mädchen. Ich bewache den Wagen.«
Der Sergeant stand schwerfällig auf. »Wenn Sie sammeln, brauchen Sie trotz allem dafür eine Erlaubnis.«
»Die haben wir«, sagte Preacher und holte ein amtliches Formular aus dem Schreibtisch. »Wir haben sie gestern im Rathaus beantragt.«
Mißtrauisch prüfte der Sergeant das Schriftstück. Der Bursche
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