Der Selbstmordklub
empfinden. Beneiden Sie mich – beneiden Sie mich,« setzte er kichernd hinzu, »ich bin eine Memme!«
Geraldine konnte nur mit Mühe eine Gebärde des Abscheus unterdrücken; doch bezwang er sich und fuhr fort:
»Auf welche Weise wird die Aufregung künstlich verlängert, und wo liegt das Element der Ungewißheit?«
»Ich muß Ihnen mitteilen,« entgegnete Herr Malthus, »wie man jeden Abend das Opfer auswählt, und nicht nur das Opfer, sondern noch ein zweites Mitglied, das als Instrument des Klubs dient und als Hoherpriester des Todes zu wirken hat.«
»Mein Gott,« sagte der Oberst, »sie töten einander?«
»Man ist auf diese Weise der Mühe des Selbstmords überhoben,« bestätigte Herr Malthus.
»Gnädiger Himmel!« stieß der Oberst hervor, »und können Sie – kann ich – kann der – mein Freund, meine ich, kann irgendeiner von uns heute abend zum Mörder eines andern ausgewählt werden? Ist das unter denkenden Wesen, die eine Mutter gehabt haben, möglich? O schändlichste aller Schändlichkeiten!«
Er wollte entsetzt aufspringen, als er dem Auge des Prinzen begegnete, der ihm über das Zimmer einen unzufriedenen und warnenden Blick zuwarf. Sofort war Geraldine wieder Herr seiner Sinne.
»Warum auch nicht?« sagte er, »und da Sie sagen, das Spiel sei interessant, so mag meinetwegen das Schiff vom Stapel gehen, ich folge der Flagge.«
Herr Malthus hatte mit Vergnügen des andern Entsetzen und Abscheu bemerkt. Er war stolz auf seine Verderbtheit und freute sich, an einem andern eine edle Regung zu bemerken, über die er sich in seiner Verstocktheit weit erhaben fühlte.
»Sie sind, scheint es, jetzt nach Ihrer ersten Überraschung imstande, die Reize, die unser Verein bietet, zu würdigen. Er vereint, wie Sie sehen, die Aufregung des Spieltisches, des Duells und des römischen Amphitheaters. Die alten Heiden verdienen Bewunderung für ihren raffinierten Geschmack, aber erst einem christlichen Lande war es vorbehalten, zu dieser höchsten Höhe geistigen Rausches emporzusteigen.Sie werden begreifen, wie eitel einem Mann, der hieran Geschmack gefunden, alle andern Unterhaltungen vorkommen müssen. Unser Spiel ist äußerst einfach,« fuhr er fort. »Ein volles Spiel Karten – aber ich sehe, die Sache soll in Wirklichkeit soeben vor sich gehen. Wollen Sie mir Ihren Arm leihen? Ich bin leider gelähmt.«
Und in der Tat öffnete sich, als Herr Malthus mit seiner Beschreibung anfing, eine zweite Rolltüre, und der ganze Klub begab sich in das nächste Zimmer. Dieses war, von der Möblierung abgesehen, dem Rauchzimmer fast völlig gleich. In der Mitte stand ein langer, grüner Tisch, an dem der Präsident saß und mit peinlicher Sorgfalt ein Spiel Karten mischte. Trotz seines Stockes und des unterstützenden Arms kam Herr Malthus so langsam vorwärts, daß dieses Paar und der Prinz, der auf sie gewartet hatte, zuletzt ins Zimmer traten und daher auch unten am Tisch beieinander zu sitzen kamen.
»Es ist ein Spiel von 52 Karten,« flüsterte Herr Malthus. »Achten Sie auf das Pikas, das Zeichen des Todes, und das Treffas, das den Ausführenden bestimmt. Glückliche, glückliche junge Männer!« fügte er hinzu. »Sie haben gute Augen, Sie können das Spiel verfolgen. Ich kann aber von hier aus ein As von einer Zwei nicht unterscheiden.«
Und dabei setzte er sich noch eine zweite Brille auf.
»Ich muß wenigstens den Ausdruck der Gesichter beobachten,« erklärte er.
Der Oberst teilte seinem Freunde in wenigen leisen Worten mit, was er erfahren hatte, und welche gräßlicheAlternative vor ihnen lag. Der Prinz fühlte, wie ihn ein tödlicher Schauder überlief und sein Herz sich zusammenzog; er glaubte, ersticken zu müssen, und der Ausdruck entsetzlicher Verlegenheit malte sich auf seinem Gesicht.
»Ein kühner Entschluß,« flüsterte der Oberst, »und wir können uns noch frei machen.«
Aber diese Worte ließen den Prinzen seine Fassung wiedergewinnen.
»Ruhig!« sagte er. »Zeigen Sie, daß Sie wie ein Mann spielen können, gleichviel um welchen Einsatz.« Und er schaute herum, allem Anschein nach ganz gefaßt, wenn auch sein Herz heftig pochte und es ihm unangenehm heiß ward. Die Mitglieder waren sämtlich still und äußerst gespannt, ihre Mienen sahen bleich aus, bei keinem mehr als bei Herrn Malthus. Seine Augen quollen hervor, sein Kopf wackelte unwillkürlich hin und her; die Hände fuhren fortwährend zum Wunde und krallten sich an den zitternden und aschfarbenen Lippen fest. Das
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