Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
Traum. Infolge der Gesundung übermittelte er den Lords zu Schwelgenstein die Botschaft des Verderbens, mit der ihn der große Erzfeind des Landes beauftragt hatte, Lord Foul der Verächter. Und er war mit den Lords auf ihre Suche nach dem Stab des Gesetzes ausgezogen, Bereks Runenstab, den einst Hoch-Lord Kevin, der letzte Alt-Lord, in seinem Kampf gegen den Verächter verlor. Die neuen Lords betrachteten den Stab als ihre einzige hoffnungsvolle Waffe gegen ihren Feind; und er, Covenant, hatte ihnen bei der Wiedererringung des Stabes geholfen, ohne es selbst zu wollen, ohne an die Sache zu glauben. Dann war er fast übergangslos in einem Bett im Krankenhaus seines Heimatorts wieder zu sich gekommen. Seit dem Zwischenfall mit dem Polizeiwagen waren bloß vier Stunden verstrichen gewesen. Unverändert litt er an Lepra. Weil er im wesentlichen unbeeinträchtigt wirkte, hatte der Arzt ihn zurück in sein Haus auf der Haven Farm geschickt.
Und nun war er aus seiner Schläfrigkeit aufgeschreckt worden, durchschritt sein erleuchtetes Haus, als wäre es ein Inselchen der Geistesklarheit inmitten von Dunkelheit und Chaos. Blendwerk! Er war genasführt worden. Er fand den bloßen Gedanken an das Land zum Kotzen. Für Leprakranke gab es keine Heilung; das war die Grundregel, die sein Dasein bestimmte. Nerven regenerierten nicht; und ohne die Tastwahrnehmung gab es keinen Schutz gegen Verletzung und Infektion, Verstümmelung und Tod – für ihn gab es keinen Schutz, außer den zwanghaften Maßregeln der VBG, die man ihm im Leprosorium eingetrichtert hatte. Die Ärzte dort hatten ihn gelehrt, daß seine Krankheit ein endgültiger Sachverhalt seiner Existenz sei, daß er, falls er sich nicht vollständig, mit Herz, Verstand und Seele, seinem Selbstschutz widmete, vor einem gräßlichen Ende unweigerlich noch zum angefaulten Krüppel werden müsse. Diese Grundregel besaß eine Logik, die nun noch unfehlbarer als je zuvor wirkte. Durch Blendwerk war er, wie begrenzt auch immer, irregeführt worden; und die Ergebnisse waren verhängnisvoll. Für nunmehr zwei Wochen hatte er seinen festen Halt verloren, seinen Willen zum Überleben, sein Medikament nicht eingenommen, keine VBG oder sonstige Übungen praktiziert, sich nicht einmal rasiert.
Schwindelerregende Übelkeit rumorte in seinem Innern. Er zitterte hilflos, während er seine Verfassung überprüfte. Aber allem Anschein nach hatte er irgendwie keinen Schaden genommen. Seine Haut wies keinerlei Schrammen, Verbrennungen oder Quetschungen auf, keinen der fatalen blauroten Flecken wiederaufgelebter Leprose. Er atmete keuchend, als hätte er soeben eine Überflutung mit Grauen durchgestanden, als er sich daranmachte, sein Leben von neuem in festen Griff zu bekommen. Eilig und ohne Verzögerung nahm er eine große Dosis seines Medikaments DDS – Diaminodiphenylsulfonamid. Danach betrat er den weißen Glanz seines Badezimmers, zog am Streichriemen sein altes, gerades Rasiermesser ab und setzte sich die lange scharfe Klinge an die Kehle. Sich so zu rasieren, die Klinge zwischen den beiden restlichen Fingern und dem Daumen der Rechten, war sein persönliches Ritual, das er sich selbst auferlegt hatte, um seine ungestüme Vorstellungskraft zu disziplinieren und abzutöten. Damit vermochte er sich nahezu ohne bewußte Anstrengung zu stabilisieren. Die Gefahr, die von dem heiklen, so unsicher gehaltenen Metall ausging, half ihm beim Konzentrieren, half ihm dabei, verfehlte Hoffnungen und Träume loszuwerden, die verführerischen, selbstmörderischen Erzeugnisse seines Geistes zu verscheuchen. Die Folgen einer falschen Bewegung waren ihm so klar, als seien sie seinem Hirn mit Säure eingeätzt. Er konnte die Grundregel der Leprose nicht mißachten, wenn er so dicht davorstand, sich selbst zu verletzen, sich eine Wunde zuzufügen, die die eingeschlafene Fäulnis seiner Nerven erneut wecken mochte, Entzündungen und Blindheit verursachen, ihm das Fleisch vom Gesicht fressen, bis er zu scheußlich war, um noch angeblickt werden zu können. Als er sich den zwei Wochen alten Bart abrasiert hatte, musterte er sich für einen Moment im Spiegel. Er sah einen ergrauten, hageren Mann mit Leprose im Hintergrund seiner Augen, einem Seuchenschiff in der Ferne auf eisiger See vergleichbar. Und dieser Anblick lieferte ihm eine Erklärung für das erlebte Blendwerk. Sein Unterbewußtsein hatte es konstruiert – das blinde Verzweiflungswerk oder Produkt der Feigheit eines Gehirns, das all dessen beraubt
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