Der Sieg nach dem Krieg
Deutschlandkunde, kamen Sieger heraus, adrett, leger, in blanken Schuhen, engen Hosen mit Bügelfalten, straff gespannt über Hintern, prall wie von Brauereirössern, besonders beim Einladen der Schätze in ihre unmäßigen Automobile. Mitten im Hast-du-was-bist-du-was schweifte Kilian ab. Vom Special Service, der US- Truppenbetreuung veranstaltet, sollte am Abend im beschlagnahmten Theater eine Show über die Bühne gehen. Eine Original amerikanische Show, das bedeutete Swing, die Musik, die uns verboten gewesen war, erstmals direkt von der Quelle. Das Wort live kannten wir noch nicht.
Da mußte ich hin!
Wie spätere Generationen, artikulierte die damalige Jugend ihr Lebensgefühl vorab musikalisch. Mit > Westerwald< die einen, die andern mit > Lady be good<. An der Front war Swing aus dem Funkgerät Erkennungszeichen gewesen. Wenn beim Drehen am Knopf die unverkennbare Klarinette des King of Swing , des Nichtariers Benny Goodman den feldgrauen Kasten vibrieren ließ, hatte ein Blick zur Verständigung genügt, ehe man weiterdrehen mußte, falls ein Prolet der Herrenrasse in der Nähe war. Neue Kameraden, deren politisches Credo man noch nicht kannte, wurden getestet, ob sie würdig waren, in den Kreis der swingenden Wehrkraftzersetzer aufgenommen zu werden. Hierzu genügte es, bei einer vaterländischen Tätigkeit wie Waffenreinigen, den ersten Takt von > Flat Foot Floogee< zu pfeifen. Wer zu uns gehörte, kannte das Stück und antwortete mit derselben Tonfolge, aus Freude vielleicht etwas schärfer synkopiert. Swing-Anhänger waren musikalische Schwejks, gut getarnte schlechte Soldaten, raffinierte Befehlsverfremder, vor allem im Mannschaftsstand, und haben den Krieg mit Sicherheit um einige Tage verkürzt, auch wenn sich das nicht nachweisen läßt.
Bereits Mitte der Dreißigerjahre hatte die Swing-Jugend begonnen sich zu formieren. Damals lernte ich Klarinette und gründete eine Band. Wir gaben uns einen hochtrabenden Namen und malten ihn auf die große Trommel des Schlagzeugs: King Oliver’s Hot Swing Rhythm Band. In der Abgeschiedenheit unseres weltanschaulich noch nicht gleichgeschalteten Internats war das möglich. Jedes staatliche Gymnasium hätte uns rausgeworfen, uns rauswerfen müssen, zumal wir statt Mützenhaarschnitt für damalige Verhältnisse wallende Mähnen trugen. Wir brauchten weder Joint noch Nadel, um von deutscher Scholle abzuheben, uns genügten Grammophonnadeln.
Als der ideologische Mißbrauch der Jugend ins gesundheitsschädliche Stadium trat, stärkten wir uns moralisch mit Swing. Auf dem Kasernenhof habe ich bei der zwangsweisen Vereidigung dem obersten Befehlshaber ein Schnippchen geschlagen. Statt die Formel mitzusprechen, summte ich innerlich zu stummen Lippenbewegungen den Saint Louis Blues in der Version der Benny-Goodman- Band. Ich besaß die Platte und kannte das Arrangement auswendig. Naiv, gewiß, aber so waren wir, träumten auf der Tonleiter von Freiheit und sollten recht behalten mit unserer unverbildeten Witterung, die kommende Erdbeben spürt, wie instinktgesteuerte Tiere. Jugend kann warnen mit ihrer Musik. Daran hat sich nichts geändert.
Der >Saint Louis Blues< wurde zu meinem persönlichen Widerstandslied. Mitten im Krieg auf Urlaub in München, wohnte ich neben dem Palais Kaulbach, wo, wie es hieß, der Gauleiter größenwahnte. Es war ein heißer Sommertag, drüben stand ein Fenster offen, und heraus drang der verbotene >Saint Louis Blues< im Arrangement der Goodman-Band. Reflexhaft stellte ich mein Grammophon aufs Fensterbrett und hielt mit der gleichen Platte dagegen. Langsam, ohne daß jemand zu sehen gewesen wäre, wurde das Fenster geschlossen. Vorsichtshalber verließ ich das Haus.
Ich mußte in die amerikanische Show!
Vor meinen geballten Wünschen kapitulierte Kilian. Durchs Zimmer marschierend, fand er einen Weg: ein Schreiben, welches bestätigte, daß ich als falscher Fotograf Kilian für die Besatzungsmacht tätig sei. Er besaß mehrere nützliche Schreiben dieser Art.
Eine Viertelstunde vor Beginn der Show ragte ein kleiner Atelierscheinwerfer auf hohem Stativ, aus dem Strom der amerikanischen Besucher, gewissermaßen als deutscher Beitrag zum Gelingen des Abends. Gesichtsausdruck und Ausstrahlung beim Kontrollposten richtig einzusetzen, hatte der falsche Kilian durch die Feldgendarmerie gelernt. So passierte er den schwarzen Zerberus am Portal ohne Aufenthalt. Drinnen allerdings gab’s Schwierigkeiten. Bei den deutschen Bühnenarbeitern
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