Der Sieger bleibt allein (German Edition)
schau noch mal nach, ob meine Wäsche in die Reinigung gebracht wurde«, oder: »Die Party ist sterbenslangweilig, aber ich weiß nicht, wo ich sonst hingehen soll, wo bist du?«
Dinge, die man in zehn Sekunden sagt, für die man aber bis zu fünf Minuten braucht, wenn man sie schreibt. Doch so ist nun einmal die Welt. Igor weiß sehr wohl, worum es hier geht, hatte er doch Hunderte Millionen Dollar damit verdient, dass das Telefon nicht mehr nur ein Mittel zur Kommunikation war, sondern ein Hoffnungsfaden, etwas, das einem die Möglichkeit gab, sich weniger allein zu fühlen, etwas, mit dem man zeigen konnte, wie wichtig man war.
Dieser kleine überall hin mitnehmbare Apparat versetzte die Welt in einen Zustand vollkommener Verrücktheit. Durch ein trickreiches, in London geschaffenes System schickt beispielsweise eine Zentrale für nur fünf Euro monatlich alle drei Minuten vorgefertigte Nachrichten. Wenn man gerade mit jemandem redet, den man beeindrucken möchte, muss man nur vorher eine bestimmte Nummer anrufen und das System aktivieren. Dann klingelt das Mobiltelefon, man zieht es hervor, öffnet die Nachricht, schaut kurz drauf und sagt, dass sie warten kann (selbstverständlich kann sie warten, denn da steht nur: »Wie erbeten« und die Uhrzeit). So fühlt sich der Gesprächspartner aufgewertet, und die Verhandlungen gehen automatisch schneller voran, denn der andere weiß jetzt, dass er eine vielbeschäftigte Person vor sich hat. Drei Minuten später wird das Gespräch durch eine weitere sms unterbrochen, der Druck wächst, und der Benutzer kann nun entscheiden, ob er das Telefon eine Viertelstunde lang ausstellt oder vorgibt, viel zu tun zu haben, und so einen lästigen Gesprächspartner loswird.
In einer einzigen Situation aber muss das Mobiltelefon unbedingt ausgeschaltet werden. Nicht etwa bei formellen Abendessen, im Theater, im dramatischsten Moment eines Films, bei der anspruchsvollsten Opernarie. Alle Menschen haben schon in solchen Situationen Mobiltelefone klingeln hören. Nur wenn Leute in ein Flugzeug steigen, fürchten sie, ihr Handy könnte tatsächlich gefährlich sein, wenn sie nämlich die übliche Lüge hören: »Mobiltelefone müssen während des Fluges ausgeschaltet bleiben, weil sie die Bordinstrumente beeinflussen können.«
Alle glauben das und folgen der Anweisung des Bordpersonals.
Igor wusste, dass dies nur ein Mythos war. Vor vielen Jahren hatten die Fluggesellschaften ganz offensiv versucht, von in den Sitzen eingebauten Telefonen aus geführte Gespräche zu verkaufen. Für zehn Dollar pro Minute, wobei dasselbe System wie für Mobiltelefone benutzt wurde. Das Angebot war kein Erfolg gewesen, aber der Mythos bestand weiter – es wurde schlicht vergessen, die Ansage von der Liste zu streichen, die die Stewardess vor dem Start vorliest. Was niemand wusste: Bei allen Flügen vergessen mindestens zwei oder drei Passagiere, ihre Mobiltelefone auszuschalten; dass die tragbaren Computer mit ebendem System Zugang zum Internet erhalten, das die Mobiltelefone nutzen. Aber noch nie ist deswegen irgendwo auf der Welt ein Flugzeug abgestürzt.
Jetzt versuchte man, den Mythos zu korrigieren, ohne die Passagiere zu schockieren, zugleich aber den Preis hochzuhalten: Man darf sein Mobiltelefon benutzen, allerdings nur über das Navigationssystem des Flugzeugs. Für viermal so hohe Gebühren. Niemand hat je genauer erklärt, was dieses »Navigationssystem des Flugzeugs« ist. Wenn sich aber die Leute so narren ließen, war das ihr Problem.
Igor geht weiter. Etwas im letzten Blick der jungen Frau hat ihn gestört, aber er will darüber jetzt nicht nachdenken.
Noch mehr Sicherheitskräfte, noch mehr Sonnenbrillen, noch mehr Bikinis am Strand, noch mehr helle Kleider und Schmuck bei den »Lunchs«, noch mehr Leute, die herumhetzten, als hätten sie an diesem Tag etwas Wichtiges zu tun, noch mehr Fotografen an jeder Ecke, die auf ein unerhörtes Ereignis warteten, noch mehr Gratiszeitungen zum Festival, noch mehr Leute, die an die gewöhnlichen Sterblichen Reklameblätter von abgelegenen Restaurants oben auf dem Hügel verteilten, wo man wenig von dem Treiben an der Croisette mitbekam und wo die Models während der Festivalzeit ein Apartment mieteten und hofften, zu einem Casting eingeladen zu werden, das ihr Leben für immer verändern würde.
Wie vorhersehbar das alles war! Wenn Igor jetzt in eines dieser »Lunch«-Zelte ginge, würde niemand es wagen, ihn nach seiner Legitimation
Weitere Kostenlose Bücher