Der Sieger bleibt allein (German Edition)
Wolkenkratzerskeletten, der Verkehr war unerträglich, auf dem alten Flughafen herrschte vollkommenes Chaos. Aber die Idee des Scheichs, die hinter all dem stand, begann allmählich Gestalt anzunehmen: Dies würde ein Ort des Friedens inmitten von Kriegen sein, das Paradies für Investoren inmitten der Tumulte der internationalen Finanzmärkte, das Aushängeschild einer Nation, der so viele mit Vorurteilen begegneten. Andere Länder der Region begannen an die Stadt zu glauben, die sich inmitten der Wüste erhob, und das Geld begann endlich in Strömen zu fließen – erst wie eine Quelle, dann wie ein wasserreicher Fluss.
Der Palast des Scheichs sah noch aus wie früher, obwohl nicht weit davon entfernt ein neuer, sehr viel größerer, gebaut wurde. Hamid kam frohgestimmt zum Treffen und sagte, er habe ein ausgezeichnetes Arbeitsangebot erhalten und brauche die finanzielle Unterstützung des Scheichs nun nicht mehr. Ganz im Gegenteil, er würde auf Heller und Pfennig zurückzahlen, was in ihn investiert worden sei.
»Bitten Sie um Ihre Entlassung!«, forderte ihn der Scheich auf.
Hamid verstand das nicht. Er wusste wohl, dass das Unternehmen, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, erfolgreich arbeitete, aber er hatte andere Pläne für seine Zukunft. Doch er durfte dem Mann, der ihm so sehr geholfen hatte, nicht noch einmal widersprechen.
»Bei unserem ersten Treffen habe ich Eurer Hoheit nein sagen können, weil ich die Rechte meines Vaters vertrat, die mir immer wichtiger waren als sonst etwas auf der Welt. Jetzt muss ich mich dem Willen meines Herrschers beugen. Wenn Ihr glaubt, Geld verloren zu haben, als Ihr in meine Arbeit investiert habt, werde ich tun, was Ihr sagt. Ich werde heimkehren und mich um mein Erbe kümmern. Wenn ich meinen Traum aufgeben muss, um den Gesetzen meines Stammes zu gehorchen, dann will ich es tun.«
Er sprach diese Worte mit fester Stimme. Er durfte gegenüber diesem Mann, der andere für ihre Stärke achtete, keine Schwäche zeigen.
»Ich habe dich nicht gebeten, hierher zurückzukehren. Wenn dir eine bessere Stellung angeboten wurde, dann weil du bereit bist, dein eigenes Label zu schaffen. Und genau das möchte ich.«
›Ich soll mein eigenes Label gründen? Habe ich richtig gehört?‹, dachte Hamid.
»Ich sehe, wie sich hier immer mehr Luxusmarken niederlassen«, fuhr der Scheich fort. »Und ich weiß auch, wozu das führt: Unsere Frauen sind dabei, ihre Art, zu denken und sich zu kleiden zu verändern. Die Mode hat unsere Region mehr verändert als alle ausländischen Investitionen. Ich habe mit Männern und Frauen gesprochen, die etwas davon verstehen. Ich bin nur ein alter Beduine, der, als er sein erstes Auto sah, dachte, es müsse gefüttert werden wie ein Kamel.
Ich möchte, dass die Ausländer unsere Dichter lesen, unsere Musik hören, dazu tanzen und die Melodien singen, die von Generation zu Generation mündlich weitergegeben worden sind. Aber offenbar ist niemand daran interessiert. Es gibt nur eines, was sie dazu bringen könnte, unsere Tradition zu achten: das, was du machst. Wenn sie durch die Art, wie wir uns kleiden, begreifen, wer wir sind, werden sie am Ende auch den Rest verstehen.«
Am nächsten Tag traf Hamid sich mit einer Gruppe ausländischer Investoren. Sie stellten ihm eine phantastische Summe Geld zur Verfügung und gaben ihm eine Frist, innerhalb deren er alles zurückzahlen musste. Sie fragten ihn, ob er die Herausforderung annehme, ob er darauf vorbereitet sei.
Hamid erbat sich Bedenkzeit. Er ging zum Grab seines Vaters und betete dort den ganzen Nachmittag. Nachts wanderte er durch die Wüste, spürte den kalten Wind auf seiner Haut und kehrte dann in das Hotel zurück, in dem die Ausländer untergebracht waren.
›Gesegnet sei der, der seinen Kindern Flügel und Wurzeln geben kann‹, lautet ein arabisches Sprichwort.
Man braucht Wurzeln: Es gibt einen Ort auf der Welt, an dem wir geboren werden, sprechen lernen und herausfinden, wie unsere Vorfahren ihre Probleme gelöst haben. Irgendwann kommt der Moment, in dem wir für diesen Ort Verantwortung übernehmen.
Man braucht Flügel: Sie zeigen uns die endlosen Horizonte der Phantasie, tragen uns zu unseren Träumen, führen uns an ferne Orte. Die Flügel erlauben uns, die Wurzeln von anderen kennenzulernen und aus ihnen zu lernen.
Hamid bat Gott um Inspiration und betete weiter. Zwei Stunden später erinnerte er sich an ein Gespräch seines Vaters mit einem seiner Freunde, der Stammkunde
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