Der Sieger bleibt allein (German Edition)
im Stoffladen gewesen war.
›Heute Morgen hat mein Sohn mich um Geld gebeten, um ein Lamm zu kaufen. Soll ich ihm helfen?‹
›Es handelt sich nicht um einen Notfall. Also warte noch eine Woche, bis du deinem Sohn eine Antwort gibst.‹
›Aber ich habe die Voraussetzungen, ihm zu helfen. Warum soll ich eine Woche warten? Was ändert das?‹
›Sehr viel. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass Menschen etwas nur dann wertschätzen, wenn sie Gelegenheit haben, zu zweifeln, ob sie erhalten, was sie sich wünschen, oder nicht.‹
Hamid ließ die Investoren eine Woche lang warten und nahm dann die Herausforderung an. Er brauchte Leute, die sich um das Geld kümmerten, es nach seinen Anweisungen investierten. Er brauchte Angestellte, die möglichst aus demselben Dorf kommen sollten wie er. Er brauchte noch ein Jahr in seiner augenblicklichen Anstellung, um zu lernen, was er noch nicht wusste. Das war alles.
›Jede Kollektion hat letztlich ihren Ursprung in einer Farbenfabrik.‹
Ganz so ist es nun auch wieder nicht: Am Anfang stehen Marktforschungsunternehmen, die Trend- und Zukunftsforschung betreiben und feststellen, was welche Bevölkerungsschicht gerade am meisten interessiert – und zwar nicht nur in der Mode. Diese Feststellungen beruhen auf repräsentativen Verbraucherumfragen, vor allem aber auf der genauen Beobachtung des Verhaltens einer bestimmten Alterskohorte, normalerweise der 20- bis 30-Jährigen, die Discos besuchen, auf den Straßen flanieren, ständig im Internet unterwegs sind. Das, was in Schaufenstern zu sehen ist, interessiert sie nicht, auch wenn dort anerkannte Labels ausgestellt sind. Was dort zu sehen ist, hat das große Publikum bereits erreicht und ist zum Sterben verdammt.
Was die Trendforschungsinstitute genau wissen möchten, ist: Was wird den Verbraucher als Nächstes interessieren? Junge Leute verfügen nicht über genug Geld, um Luxusprodukte zu kaufen, und müssen sich daher neue Kleidungsstile ausdenken. Da sie ständig vor dem Computer sitzen, teilen sie ihre Interessen mit ihresgleichen, und häufig entsteht daraus etwas, was wie ein Virus die gesamte Community erfasst. Die jungen Leute beeinflussen ihre Eltern in Sachen Politik, Literatur und Musik – und nicht umgekehrt, wie naive Menschen meinen. Andererseits beeinflussen die Eltern die jungen Leute im Bereich des sogenannten »Wertesystems«. Auch wenn Jugendliche von Natur aus rebellisch sind, glauben sie letztlich doch meistens, was die Eltern sagen. Sie können sich merkwürdig kleiden und Sänger lieben, die Schreie ausstoßen und Gitarren zertrümmern – aber damit hat es sich auch schon.
›In der Vergangenheit haben sie das durchaus schon einmal getan. Wie gut, dass diese Welle vorübergegangen und ins Meer zurückgekehrt ist.‹
Im Moment sieht es so aus, als wäre die Gesellschaft auf dem Weg zu einem konservativeren Stil – das zeigt zumindest die Trendforschung –, der weit von der Bedrohung entfernt ist, die die Suffragetten (Frauen, die Anfang des 20. Jahrhunderts für das Wahlrecht von Frauen kämpften und es auch erlangten) oder die haarigen, ungewaschenen Hippies darstellten (eine Gruppe von Verrückten, die glaubten, es wäre möglich, eines Tages in Frieden und Liebe zu leben).
Um 1960 beispielsweise sehnte sich eine in die blutigen Kriege der nachkolonialen Zeit verwickelte, von der Gefahr eines Atomkrieges geängstigte Welt, in der zugleich die Wirtschaft blühte, nach etwas Fröhlichkeit. Wie einst Christian Dior begriffen hatte, dass die Hoffnung auf Überfluss in großen Stoffmengen ausgedrückt werden konnte, haben damals die Modeschöpfer eine Farbkombination gesucht, die allgemein die Laune heben würde. Sie kamen zu dem Schluss, dass Rot und Violett einen zugleich beruhigenden und provozierenden Effekt hatten.
Vierzig Jahre später hat sich die kollektive Weltsicht vollkommen verändert: Die Welt wurde nicht von einem Krieg bedroht, sondern von schweren Umweltproblemen. Die Modedesigner entschieden sich daraufhin für Naturtöne wie die Farben von Wüstensand, Wäldern, Meerwasser. Zwischen diesen beiden Perioden waren andere Tendenzen – der psychedelische, futuristische, aristokratische, nostalgische Stil – aufgetaucht und wieder verschwunden.
Bevor die großen Kollektionen geschaffen werden, geben die Untersuchungen der Trendforscher ein allgemeines Stimmungsbild der geistig-seelischen Befindlichkeit der Welt. Und jetzt scheint das zentrale Thema der menschlichen Sorgen
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