Der Sieger bleibt allein (German Edition)
ihnen wird eingebleut, dass nicht Kunst, sondern Mode, nicht die Filmvorführungen, sondern die Partys wichtig seien. Das ist eine Schande! Ich bin hier, um –«
»Halt den Mund!«, sagt jemand. »Niemand will wissen, warum du hier bist.«
»...Ich bin hier, um die Versklavung der Wünsche des Menschen anzuklagen, der seine Wahl jetzt nicht mehr mit Verstand trifft, sondern aufgrund von Werbung, von Lügen! Warum interessieren Sie alle sich für die Messerstiche in Tokio und nicht für die Messerstiche, die eine ganze Generation von Filmschaffenden ertragen muss?«
Der Mann macht eine Pause und wartet auf Beifall, doch er erntet nicht einmal nachdenkliches Schweigen. An den Tischen haben alle ihre Gespräche wiederaufgenommen. Ihnen ist gleichgültig, was sie gerade gehört haben. Der Mann setzt sich wieder, macht ein würdevolles Gesicht, doch sein Herz ist gebrochen, weil er sich lächerlich gemacht hat.
›Es geht ums Gesehenwerden‹, denkt Igor. ›Das Problem ist nur, dass niemand hinschaut.‹
Und jetzt schaut er sich um. Ewa ist im selben Hotel, und nach vielen Ehejahren kann er beschwören, dass sie jetzt gerade nicht weit von seinem Platz entfernt einen Tee oder einen Kaffee trinkt. Sie hat seine Botschaften erhalten und sucht ganz bestimmt jetzt nach ihm, weil sie weiß, dass auch er in der Nähe sein muss.
Er kann sie nicht sehen. Und er kann auch nicht aufhören, an sie, an seine Obsession, zu denken. Er erinnert sich an eine Nacht, als er zusammen mit seinem Fahrer, der zugleich sein Bodyguard war (sie hatten zusammen in Afghanistan gekämpft, doch anschließend war ihnen das Glück unterschiedlich hold gewesen), spät nach Hause unterwegs gewesen war. Als sie am Hotel Kempinski vorbeifuhren, hatte er seinen Fahrer gebeten anzuhalten. Sein Mobiltelefon und seine Papiere hatte er im Wagen gelassen und war in die Bar auf der Empore über der Lobby gegangen. Anders als hier auf der Terrasse des Martinez in Cannes war es dort fast leer gewesen. Die Bar sollte gerade geschlossen werden. Igor hatte unter den Angestellten ein großzügiges Trinkgeld verteilt, damit sie die Bar noch eine Stunde länger offenhielten, ganz für ihn allein.
Und dort hatte er dann alles begriffen. Es stimmte nicht, dass er im nächsten Monat aufhören würde, auch nicht im nächsten Jahr und nicht in den nächsten zehn Jahren. Ewa und er würden niemals das Haus in den Bergen und die vielen Kinder haben, von denen sie träumten. Er hatte sich in jener Nacht gefragt, warum das unmöglich war, und nur eine einzige Antwort gefunden.
Der Weg der Macht kennt kein Zurück. Er würde ewig Sklave dessen sein, was er gewählt hatte, und sollte er tatsächlich seinen Traum verwirklichen, alle Macht aufzugeben, würde er in tiefe Depressionen verfallen.
Warum handelte er so? War es wegen der nächtlichen Alpträume, in denen er sich an die Schützengräben erinnerte, an den verängstigten jungen Mann, der er gewesen war und der eine Pflicht erfüllte, die er sich nicht ausgesucht hatte, und der zu töten gezwungen wurde?
Weil er sein erstes Opfer nicht vergessen konnte, einen Bauern, der in seine Schusslinie geraten war, als die Rote Armee gegen die afghanischen Rebellen kämpfte? Wegen der vielen Menschen, die nicht an ihn geglaubt und ihn anfangs verächtlich angesehen hatten, als er nach Investoren für seine Mobilfunkfirma suchte? War es, weil er sich anfangs mit zwielichtigen Gestalten zusammentun musste, der russischen Mafia, die das mit Prostitution verdiente Geld waschen wollte?
Ihm war es gelungen, das Darlehen zurückzuzahlen, ohne selbst korrumpiert zu werden und jemandem noch einen Gefallen zu schulden. Es war ihm gelungen, mit den Gestalten im Zwielicht zu verhandeln und dennoch das eigene Licht am Leuchten zu halten. Ihm war klar, dass der Krieg der Vergangenheit angehörte und dass er nie wieder auf ein Schlachtfeld zurückkehren würde. Er hatte die Frau seines Lebens gefunden. Er machte die Arbeit, die er immer hatte machen wollen. Er war reich, steinreich sogar, und selbst wenn morgen das kommunistische System zurückkehren würde, konnte ihn das nicht tangieren, denn sein persönliches Vermögen befand sich im Ausland. Er hatte gute Beziehungen zu allen Parteien. Er kannte hochgestellte Persönlichkeiten auf der ganzen Welt. Er hatte gerade eine Stiftung gegründet, die sich um die Waisen der während der sowjetischen Invasion in Afghanistan gefallenen Soldaten kümmerte.
Doch dort in jener Bar im Kempinski
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