Der Sieger bleibt allein (German Edition)
stagnierende Karrieren wiederbeleben kann. Die Ermittlungen müssen Erfolg haben, und keiner seiner Vorgesetzten glaubt, dass ein Detektiv aus einer französischen Provinzstadt (ja, denn Cannes ist trotz allen Glanzes und Glamours 350 Tage im Jahr nur eine kleine Provinzstadt) imstande ist, den Fall zu lösen.
Savoy hat einen der Bodyguards, der mit am Tisch gesessen hatte, in Verdacht, denn wer immer das Gift verabreicht hat, muss sich in unmittelbarer Nähe zum Opfer befunden haben. Aber er wird das nicht erwähnen. Er wird noch mehr Papier verbrauchen, die Angestellten, die im Zelt gearbeitet haben, verhören, aber keinen Zeugen finden und den Fall – nachdem er ein paar Tage lang Faxe und E-Mails mit den ihm übergeordneten Stellen getauscht hat – in seinem Bereich für abgeschlossen erklären.
Er wird zu seinen zwei Morden im Jahr zurückkehren, zu den Ehestreitigkeiten, den Bußgeldern, wo er doch so nah an etwas dran gewesen ist, was internationale Auswirkungen haben könnte. Sein Jugendtraum, die Welt zu verbessern, etwas zur größeren Sicherheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft beizutragen, befördert zu werden, um einen Posten im Justizministerium zu erlangen, seiner Frau und den Kindern ein bequemeres Leben zu verschaffen, etwas zum guten Ruf der Polizei beizutragen... all das endet immer mit demselben Wort.
Papier.
16 Uhr 16
Auf der Terrasse der Bar des Hôtel Martinez ist kein Platz mehr frei, was Igor nicht weiter stört. Obschon er zum ersten Mal in Cannes ist, hat er in weiser Voraussicht einen Tisch reserviert. Er ist stolz auf seine planerischen Fähigkeiten. Er bestellt einen Tee und Toast, zündet eine Zigarette an und blickt in die Runde. Als Erstes fallen ihm die vielen, mit Schmuck behängten Frauen auf, die entweder magersüchtig sind oder sich Botox haben spritzen lassen. Er sieht auch Eis essende Damen, Männer mit jüngeren Frauen, gelangweilt wirkende Ehepaare, lächelnde junge Frauen mit Erfrischungsgetränken ohne Kalorien, die so tun, als hörten sie den anderen jungen Frauen, mit denen sie zusammensitzen, konzentriert zu, dabei schweift ihr Blick ständig in der Hoffnung über die Terrasse, jemand Interessantes zu entdecken.
Die einzige Ausnahme sind drei Männer und zwei Frauen, die Papiere neben Bierdosen ausbreiten, leise reden und ständig Zahlen in einen Taschenrechner eintippen. Sie scheinen die Einzigen zu sein, die tatsächlich mit einem Projekt beschäftigt sind, doch das stimmt nicht. Alle Anwesenden arbeiten, und zwar einzig daran, gesehen zu werden.
Was, wenn alles gutgeht, dazu führt, dass man berühmt wird. Was im besten Fall dazu führt, dass man am Ende Macht besitzt. Macht, das magische Wort, das den Menschen in einen Halbgott, in eine unerreichbare Ikone verwandelt, die es gewohnt ist, ihre Wünsche erfüllt zu sehen, und die Neid und Eifersucht weckt, wenn sie in einer Limousine mit getönten Scheiben oder im sündhaft teuren Sportwagen vorfährt, und die keine schwierigen Berge mehr zu erklimmen oder scheinbar Unmögliches mehr zu erreichen hat.
Die Besucher dieser Terrasse haben bereits einige Hürden überwunden – sie stehen nicht mit ihrem Fotoapparat draußen hinter den Metallgittern und warten darauf, dass jemand aus dem Hoteleingang heraustritt und ihre Welt mit Licht erfüllt. Ja, sie sind bereits bis in die Lobby des Hotels vorgedrungen, und jetzt fehlen ihnen nur noch Macht und Ruhm, gleichgültig in welchem Bereich. Die Männer wissen, dass Alter kein Problem ist, sie brauchen nur die richtigen Kontakte. Die jungen Frauen aber, die die Terrasse so aufmerksam wie erfahrene Sicherheitsleute überwachen, spüren, dass sie sich dem gefährlichen Alter nähern, in dem alle Möglichkeiten, etwas durch Schönheit zu erreichen, sich plötzlich in Luft auflösen. Die älteren Damen würden gern wegen ihrer Talente und ihrer Intelligenz anerkannt und respektiert werden, doch die Diamanten überstrahlen jede Möglichkeit, diese Talente zu entdecken. Ehepaare warten darauf, dass jemand vorbeikommt und sie grüßt, alle sich zu ihnen umdrehen und denken: ›Die sind bekannt. Oder sogar berühmt, wer weiß?‹
Das Berühmtheitssyndrom. Es kann Karrieren, Ehen, christliche Werte zerstören, die Klugen ebenso blenden wie die Dummen: große Wissenschaftler, denen ein wichtiger Preis verliehen wurde und die deswegen ihre Forschungen aufgeben, die der Menschheit dienen könnten, und ihr Leben stattdessen auf Konferenzen verbringen, die das
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