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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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am Roten Platz in Moskau, als er merkte, dass er genug Geld und Macht besaß, um die Kellner die ganze Nacht für sich arbeiten zu lassen, hatte er es begriffen.
    Er hatte es begriffen, weil er das Gleiche bei seiner Frau beobachtete, die jetzt auch ständig in der Welt herumreiste und, kaum dass sie wieder in Moskau war, direkt an den Computer ging. Er hatte begriffen, dass, im Gegensatz zu dem, was die Menschen dachten, die totale Macht totale Versklavung bedeutete. Wer so weit kommt, will nie mehr zurück. Es gibt immer einen neuen Berg, der erklommen werden muss. Es gibt immer einen neuen Konkurrenten, der entweder überzeugt oder ausgeschaltet werden muss. Mit weiteren zweitausend gehört er zum exklusivsten Club der Welt, dem Weltwirtschaftsforum, das alljährlich in Davos zusammenkommt. Diese Menschen sind mehr als reich, sind Millionäre, mächtig. Und alle arbeiten von morgens bis abends, wollen immer noch höher hinaus, haben immer nur ein Thema – Ankäufe, Wertpapierbörse, Markttendenzen, Geld, Geld, Geld. Sie arbeiten nicht, weil sie es nötig haben, sondern weil sie sich für unentbehrlich halten. Sie glauben, für Tausende von Familien sorgen zu müssen, glauben, es ihren Regierungen und ihren Gesellschaftern schuldig zu sein. Sie arbeiten, weil sie ehrlich der Meinung sind, dass sie der Welt helfen – was wahr sein mag, was sie aber mit dem Verlust eines eigenen Lebens bezahlen müssen.
     
    Am nächsten Tag hatte er etwas getan, was er sein Lebtag gehasst hat – er ging zu einem Psychiater. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Bei diesem Termin hatte er herausgefunden, dass er unter einer Krankheit litt, die unter denen, die etwas geschafft hatten, was über die Grenzen eines gewöhnlichen Menschen hinausging, sehr verbreitet war. Er war jemand, der zwanghaft arbeitete, ein Workaholic, wie diese Störung weltweit genannt wird. Zwanghaft arbeitende Menschen, hatte der Psychiater gesagt, laufen Gefahr, in tiefe Depressionen zu verfallen, sobald sie nicht mit konkreten Herausforderungen oder Problemen beschäftigt sind.
    »Es handelt sich um eine Störung, deren Ursache wir noch nicht kennen, die aber etwas mit Unsicherheit und kindlichen Ängsten zu tun hat und mit einer Realität, die man leugnen will. Sie ist so ernst zu nehmen wie beispielsweise die Drogenabhängigkeit.
    Doch anders als bei Drogenabhängigkeit, die die Produktivität senkt, trägt der zwanghaft Arbeitende sogar noch zum Reichtum seines Landes bei. Daher ist niemand daran interessiert, ihn zu heilen.«
    »Und was sind die Folgen?«
    »Das werden Sie selber wissen, denn Sie haben mich schließlich deswegen aufgesucht. Die schwerwiegendste Folge ist die Zerstörung des Familienlebens. In Japan, einem Land, in dem diese Krankheit besonders häufig ist und manchmal tödlich ausgeht, gibt es verschiedene Verfahren, mit denen man die Obsession unter Kontrolle zu bringen versucht.«
    In den zwei letzten Lebensjahren hatte er, soweit er sich erinnern konnte, niemandem mit so viel Aufmerksamkeit und Respekt zugehört wie diesem bebrillten, schnurrbärtigen Mann, der jetzt vor ihm saß.
    »Dann gibt es also, wenn ich es recht verstehe, einen Ausweg...«
    »Wenn ein Workaholic die Hilfe eines Psychiaters in Anspruch nimmt, dann ist er bereit für eine Heilung. Unter tausend Fällen wird nur einem bewusst, dass er Hilfe braucht.«
    »Ich brauche Hilfe. Ich habe genug Geld...«
    »Das sind die typischen Worte eines Workaholics. Ich weiß, dass Sie genug Geld haben, alle Workaholics haben das. Ich weiß, wer Sie sind, denn ich habe Fotos gesehen, die Sie auf Wohltätigkeitsveranstaltungen, Kongressen und bei einer Privataudienz bei unserem Präsidenten zeigen – er weist übrigens ebenfalls Symptome dieser Störung auf. – Geld reicht nicht. Ich möchte wissen, ob Ihr Wunsch, sich zu ändern, groß genug ist.«
    Igor dachte an Ewa, an das Haus in den Bergen, an die Kinder, die er gern mit ihr gehabt hätte, an die Hunderte von Millionen Dollar auf der Bank. Er dachte an seine Stellung in der Gesellschaft und an seine Macht und daran, wie schwierig es sein würde, das alles aufzugeben.
    »Ich sage Ihnen nicht, dass Sie alles aufgeben sollen, was Sie augenblicklich tun«, meinte der Psychiater, als könnte er Igors Gedanken lesen. »Ich sage nur, dass Sie Ihre Arbeit als Quelle der Freude sehen sollten und nicht als Obsession.«
    »Ja, das kann ich schaffen.«
    »Und warum wollen Sie das schaffen? Schließlich glauben alle zwanghaft Arbeitenden,

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