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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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gehen, zu denen Sie nicht eingeladen wurden. Leuten, die Sie verachten, die Hand zu schütteln. Einmal, zweimal, zehnmal anzurufen und jedes Mal vergebens, weil am anderen Ende der Leitung jemand sitzt, der nicht halb so gut oder mutig ist wie Sie selber, aber die Macht hat, Sie zu ignorieren, Ihnen das Leben zu vergällen und an Ihnen seinen ganzen Frust auszulassen.«
    »...und jemand zu sein, der keine andere Freude im Leben hat, als sein Ziel zu verfolgen. Der stur nur darauf hinarbeitet. Alles andere langweilig findet. Und am Ende seine Familie zerstört.«
    Die Frau schaut ihn verblüfft an. Plötzlich wirkt sie völlig nüchtern.
    »Wer sind Sie? Wie können Sie meine Gedanken lesen?«
    »Ich dachte gerade über das Gleiche nach, als Sie hereinkamen. Ich glaube, ich kann Ihnen helfen.«
    »Niemand kann mir helfen. Der einzige Mensch, der es könnte, liegt in diesem Augenblick im Krankenhaus auf der Intensivstation. Und nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, bevor die Polizei gekommen ist, wird er da nicht lebend wieder herauskommen. Mein Gott!«
    Sie trinkt ihr Glas aus. Igor macht dem Kellner ein Zeichen. Dieser ignoriert ihn, bedient an einem anderen Tisch.
    »Ich habe in meinem Leben immer ein zynisches Lob einer konstruktiven Kritik vorgezogen. Bitte sagen Sie, dass ich schön bin, dass ich Talent habe.«
    Igor lacht. »Wieso glauben Sie, dass ich Ihnen nicht helfen kann?«
    »Sind Sie zufällig Filmverleiher? Haben Sie Kontakte zur Filmwelt und zu Kinoketten?«
    Vielleicht denken sie ja beide gerade an dieselbe Person. Wenn ja und wenn das eine Falle war, so ist es für ihn bereits zu spät zu fliehen. Offenbar steht er unter Beobachtung und wird, sobald er sich erhebt, verhaftet werden. Er spürt, wie sein Magen sich zusammenzieht, doch warum hat er Angst? Wenige Stunden zuvor hatte er erfolglos versucht, sich der Polizei zu stellen. Er hatte sich und seine Freiheit opfern wollen, doch Gott hatte sein Opfer nicht angenommen.
    Und jetzt hatte Gott es sich offenbar noch einmal anders überlegt.
    Igor denkt darüber nach, wie er aus der Situation, die ihm jetzt bevorsteht, heil herauskommen kann: Der Verdächtige wird identifiziert, eine Frau, die vorgibt, betrunken zu sein, geht voran und bestätigt die Angaben. Dann tritt ganz diskret ein Mann heran und bittet ihn, ihm zu folgen, damit sie sich ein bisschen unterhalten können. Dieser Mann ist ein Polizist. Igor hat in diesem Augenblick eine Art Kugelschreiber im Jackett, der unverdächtig wirkt – doch die Beretta wird ihn verraten. Sein ganzes Leben läuft in Sekundenschnelle vor seinem inneren Auge ab.
    Würde er die Pistole benutzen können? Oder würde ihn die Polizei sofort erschießen, wenn sie sah, dass er in sein Jackett griff? Aber er ist nicht hierhergekommen, um wahllos und barbarisch Unschuldige zu töten. Er hat eine Mission, und seine Opfer – oder Märtyrer im Namen der Liebe, wie er sie lieber nennt – dienen einem höheren Zweck.
    »Nein, ich bin kein Filmverleiher«, antwortet er. »Ich habe überhaupt nichts mit Film, Mode und Glamour zu tun. Ich arbeite in der Telekommunikationsbranche.«
    »Großartig!«, sagt die Frau. »Sie haben bestimmt Geld. Sie werden in Ihrem Leben auch Träume gehabt haben und wissen, wovon ich rede.«
    Langsam verliert Igor den Faden. Er macht einem anderen Kellner ein Zeichen. Diesmal wird er bedient und bestellt zwei Tassen Tee.
    »Sehen Sie denn nicht, dass ich Whisky trinke?«
    »Ja. Wie gesagt, ich glaube, ich kann Ihnen helfen. Dazu müssen Sie nüchtern sein, jeden Schritt bewusst erleben.«
    Maureen wird von Minute zu Minute nüchterner. Seit dieser Fremde vorher ihre Gedanken erraten hat, kommt es ihr so vor, als fände sie schrittweise in die Realität zurück. Ja, wer weiß, vielleicht kann ihr dieser Mann tatsächlich helfen. Seit vielen Jahren hat niemand mehr versucht, sie mit einem der in ihrem Milieu bekanntesten Sätze zu verführen: ›Ich kenne einflussreiche Leute.‹ Nichts hebt die Laune einer Frau so sehr, wie wenn sie merkt, dass ein Mann sie begehrt. Plötzlich drängt es sie, sofort ins Bad zu gehen und ihr Make-up aufzufrischen. Doch vorher muss sie erst einmal deutlich ihr Interesse signalisieren.
    Ja, sie braucht Gesellschaft, sie ist für Überraschungen des Schicksals offen – wenn Gott eine Tür schließt, öffnet er ein Fenster. Warum war sie ausgerechnet an den einzigen Tisch auf der Terrasse getreten, an dem nur eine einzelne Person saß? Da steckt ein Sinn

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