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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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grauen Gestalt aufsteigen, aber es war nur Staub, der von den Luftverwirbelungen fortgerissen wurde.
    »Ist das Madalin?«, rief Leary, ohne den Blick von dem winkenden Mann zu nehmen.
    Der Rotor des Hubschraubers hatte inzwischen genug Staub weggeweht, um Yeremis Hoffnung zu bestätigen. Sie erschauerte unter einem überwältigenden Glücksgefühl. »Nein, es ist Saraf Argyr!«
    Leary starrte wie in Trance zu der geisterhaften Gestalt hinab.
    Sein Gefühl leugnete noch, was sein Verstand längst begriffen hatte: Da stand der Silbermann, hielt einen Gegenstand im Arm, der an einen Totenkopf erinnerte, und winkte herauf.
    Yeremi sah, wie Saraf die Lippen bewegte. »Komm, spring herunter!«, schien er zu rufen. Aber wie sollte sie das tun? Unterhalb der offenen Kabinentür befand sich die Steilwand, die zur Stadt hinabführte. Der Sprung in die Tiefe konnte nur tödlich enden. Voller Angst blickte Yeremi in Learys Gesicht, und was sie dort entdeckte, ließ sie erschauern.
    Panik, aber auch eine gewaltige Anstrengung spiegelte sich in seinem starren Antlitz. Jetzt erst begriff Yeremi, was da vor sich ging: ein unsichtbarer Kampf, Sarafs Wille rang mit dem seinen. Leary stemmte sich gegen eine Kraft, die ihn zu sich befahl, so wie es früher sein Vater getan hatte, den Hosengürtel in der Hand, wenn er Klein Al zur Züchtigung rief. Der Hubschrauber ging noch tiefer, nur nützte das Yeremi wenig, solange ihr Ausstieg über dem Abhang schwebte.
    Saraf stieg von den Trümmern herab und lief, das Gesicht unverwandt nach oben gerichtet, auf das Intihuatana zu. Dort legte er den Schädel nieder und winkte Yeremi nun mit beiden Händen. Einmal mehr sah sie seine Lippen die beschwörenden Worte sprechen. »Komm, spring herunter!«
    »Aber ich kann nicht!«, flüsterte sie mit bebenden Lippen. Leary starrte nur nach unten. Und mit einem Mal glaubte Yeremi zu verstehen, was Saraf von ihr wollte. Fast war es so, als höre sie seine Stimme in ihrem Kopf. Hilf mir! Ich habe Vertrauen in dich! Ihr gehetzter Blick flog rasch zwischen ihm und dem schweißüberströmten Gesicht Learys hin und her. Helfen? Wie sollte sie das tun? Hatte Saraf nicht auch gesagt, wenn jemand seinen Geist zu einer Festung mache, könne niemand sie so leicht einnehmen? Sie, Yeremi, hatte versucht, Learys Mordlust zu bezwingen, aber es war ihr nicht gelungen. Denke daran, wer du bist. Was hatte Saraf damit nur gemeint?
    Einen Augenblick erwog Yeremi, sich auf Leary zu stürzen, selbst wenn er seinen Revolver abfeuerte, aber dann wurde ihr plötzlich bewusst, was Saraf gemeint hatte…
    »Nein!«, schrie Leary, ein irrer, lang gezogener Laut der Gegenwehr. Noch einmal erlangte sein Wille die Oberhand. Der Hubschrauber stieg wieder in die Höhe.
    Wenn er jetzt abdrehte, würde ihr Leben nur noch wenige Minuten dauern. Nicht sie hätte dann einen Verlust zu betrauern, sondern Saraf. Dieser Gedanke mobilisierte die letzten Kraftreserven ihrer geschundenen Seele. Möge dein Gewissen dich auffressen, Al, dich aushöhlen, dich leer brennen, bis du keine Kraft mehr hast! , brüllte sie. Aber nur in Gedanken.
    Learys Kopf flog herum, als hätte er trotzdem jedes einzelne Wort verstanden. Entsetzt starrte er in ihr Gesicht. Die Maschine drehte sich und sackte mit einem Ruck nach unten. Der Sitz der Sonne flog förmlich auf sie zu. Das war Yeremis Chance. Ehe Leary auch nur ahnen konnte, was sie vorhatte, hieb sie ihm die Faust ins Gesicht. Fast gleichzeitig löste sie den Beckengurt und sprang.
    Sie hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, die Richtung ihres Sturzes zu beeinflussen, alles war so schnell gegangen. Doch Saraf stand genau unter ihr, die Arme weit ausgebreitet. Im Luftwirbel unter dem taumelnden Helikopter flatterten seine staubigen Kleider, und Yeremi flog direkt auf ihn zu. Als ihr Körper auf den seinen prallte, schrie er vor Schmerz auf und brach mit ihr zusammen. Zum Glück war der Sturz nicht besonders tief.
    Der Helikopter dröhnte dicht über ihnen wie eine gigantische wütende Hornisse. Noch war die Gefahr nicht gebannt. Yeremi wälzte sich von Saraf auf den fest gestampften Sandboden herab und landete auf dem Rücken, gerade rechtzeitig, um das Aufbäumen des Rieseninsekts zu sehen. Während der Bug des Helikopters sich nach oben neigte, drehte er sich um die eigene Achse. Der Heckrotor näherte sich immer weiter der Spitze von Intihuatana. Die Inka hatten sie als Zeiger einer Sonnenuhr aus dem Fels geschlagen, doch nun war sie das Zünglein an Learys

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