Runenschwert
KAPITEL 1
MIKLAGARD, die Große Stadt, A. D. 967
Er warf einen kurzen, verstohlenen Blick auf das wollene Bündel in meiner Hand, dann sah er mich durchdringend an. Seine Augen waren schiefergrau, und die Enden seines langen Schnurrbarts zitterten unter seinem verächtlichen Blick. Der Schlag, den ich ihm versetzt hatte, hatte nichts weiter bewirkt, als ihn zu reizen.
» Großer Fehler«, knurrte er in schlechtem Griechisch und kam durch die Gasse auf mich zu, wobei er einen Sax von der Länge meines Unterarms aus seinem Umhang hervorzog.
Ich holte mit dem umwickelten Schwert aus und schlug zu, wobei sofort deutlich wurde, was für eine schwerfällige Waffe ein in fettige Wolle gewickeltes Schwert in dieser Situation war. Er grinste; ich wich zurück und rutschte auf verfaultem Müll aus, wobei ich inständig wünscht e, ich w äre einfach weitergegangen und hätte ihn ignoriert.
Er reagierte blitzschnell und schwang die Waffe tief, aber ich hatte wohlweislich nicht auf seine Augen, sondern auf seine Füße geachtet und parierte mit einem Schlag meiner geschützten Klinge, der ihn seitlich gegen die Mauer warf. Sofort setzte ich mit einem Hieb von oben nach, traf aber nicht. Das Schwert durchstieß lediglich die wollene Hülle und krachte Funken schlagend gegen die Mauer.
Er war mit Mauersplittern übersät und deutlich verunsichert, weil er sich jetzt einer scharfen Klinge gegenübersah, der er nur knapp entgangen war. Ich sah die Furcht in seinen Augen.
» Das hattest du nicht erwartet, was?«, spottete ich, während wir hin und her tänzelten und uns nicht aus den Augen ließen. » Ich mach dir einen Vorschlag: Du sagst mir, warum du mich verfolgst, und ich lasse dich laufen.«
Verwundert blinzelte er mich an, dann lachte er leise. Er erinnerte mich an einen Wolf, der ein flügellahmes Huhn entdeckt hat. » Du willst mich also laufen lassen? Offenbar hast du keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast, swina fretr. Ich bin ein Falstermann und lasse mich von einem Grünschnabel wie dir nicht beleidigen.«
Also hatte ich mich nicht geirrt, er war Däne. Doch leider war es keine gute Idee gewesen, ihn herauszufordern. Er tat einen Schritt zur Seite, wie ich es erwartet hatte, und als er mit dem Sax zuschlug, traf er das zerschnittene Wollbündel auf meinem Arm, und ich zuckte zusammen. In der Hoffnung, dass sich seine Klinge in den Fetzen verheddern würde, drehte ich mein Handgelenk und hätte es beinahe geschafft, ihm den Sax zu entwinden. Aber er war zu erfahren, und ich war zu ungeschickt mit meinem umwickelten Schwert.
Es kam noch schlimmer. Noch jetzt bricht mir vor Scham der Schweiß aus, wenn ich daran denke. Sein Rudergefährte tauchte hinter mir auf und versetzte mir einen solchen Stoß mit dem Ellbogen, dass es mir den Atem nahm und ich in den Dreck flog. Dann nahm er mir das Schwert aus den zitternden Händen, einfach so, als hole er ein Ei aus dem Nest. Und erst jetzt wurde mir klar, dass es das war, wonach sie die ganze Zeit getrachtet hatten.
Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, nach Atem zu ringen, um mich dagegen zu wehren.
» Jetzt heißt’s kräftig rudern«, brummte der Unsichtbare, und ich hörte, wie sich seine Schritte im Morast der Gasse entfernten.
Ich war mir sicher, dass sie nicht geplant hatten, mich zu töten. Aber der Mann aus Falster hatte ein blutiges Auge; meine Augen waren blind vom Regen, und ich nahm die Welt nur verschwommen wahr. Zwischen den Dächern der Gasse konnte man oben einen Streifen grauen Himmel sehen, und mich durchzuckte der Gedanke, dass dies vielleicht das Letzte sein könnte, was ich je sehen würde.
Ich wollte nicht in einer dreckigen Gasse der Großen Stadt sterben, mit den Augen voll Regenwasser. Besonders letzteres nicht, denn ich erinnerte mich an den ersten Menschen, den ich getötet hatte, einen Knaben, der mit bleichem Gesicht im Heidekraut gelegen hatte, während seine erschrocken aufgerissenen Augen sich langsam mit Regenwasser füllten.
Der Falstermann stand über mir, schwer atmend, den umgedrehten Sax in der Hand, mit dem er auf meine Gürtellinie zielte, während an der Klinge die Regentropfen herunterliefen …
Sighvat sagt, dass der Regen einem alles über einen Ort verraten kann, wenn man ihn nur zu deuten weiß. Der Regen in einem norwegischen Kiefernwald ist so sauber, dass man sich damit die Haare waschen kann. Doch wenn eine Stadt wirklich alt ist, dann führt das Regenwasser, das von den Giebeln tropft, den Schrecken früherer
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