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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Zeit blieb ihm nicht mehr…
    »Eine Erfrischung, Mr Ryan?«
    Der Angesprochene hatte von neuem den Reverend beobachtet, wie er die Presse unter dem Zinndach des Pavillons mit seinen Verlautbarungen fütterte. Deshalb war Ryan die fast schon konspirative Annäherung jener Person, die ihn so überraschend aus den Gedanken gerissen hatte, völlig entgangen. Ihre rauchige Stimme hörte er nicht zum ersten Mal. Lächelnd drehte er sich um und erkannte sogleich die attraktive junge Frau mit den langen schwarzen Haaren wieder, die gestern Abend während der Talentshow zu ihm gekommen war.
    »Mrs Bellman, wie schön, Sie wiederzusehen! Ich habe Sie gar nicht kommen hören.«
    »Bitte nehmen Sie ein Glas«, raunte Jerrys Mutter und hielt dem Congressman ein Tablett unter die Nase, auf dem drei Gläser mit eisgekühlter Limonade standen.
    »Aber ich habe gerade gefrühstückt und bin…«
    »Nehmen Sie schon!«, zischte Rachel und spähte an Ryans linker Schulter vorbei zum Podium hin, wo Reverend Jones in seinem »Thron« lehnte und über die Feindseligkeit amerikanischer Medien lamentierte.
    Der Congressman griff sich eines der hohen, schlanken Gläser und nippte höflich daran. Beiläufig fiel sein Blick auf ein kleines Mädchen in einem schlammbespritzten Regenmantel, das ganz in der Nähe, halb verdeckt von einer Palme, zu ihm herüberspähte. Kinder!, dachte er. Sie sind überall gleich. Das Glas von den Lippen nehmend, sah er wieder in die dunklen Augen von Rachel Bellman und fragte mit dem unverfänglichsten Gesicht, zu dem er fähig war: »Haben Sie Ihre Meinung geändert?«
    »Wir wollen immer noch von hier fort. Aber Lars hat…«
    »Lars?«
    »Mein Ehemann. Er meinte, es könne für die Gläubigen hier gefährlich werden, wenn die Medien über uns berichten. Der Reverend vertraut uns. Er könnte sich betrogen fühlen, vielleicht sogar angegriffen.«
    »Wollen Sie andeuten, es bestehe eine Gefahr für die Gesundheit oder sogar das Leben ihrer Mitgläubigen, wenn Sie Jonestown verlassen?«
    Rachel blickte erneut in verschiedene Richtungen. Noch schien niemand von ihr und dem Kongressabgeordneten Notiz zu nehmen.
    »Mrs Bellman?«
    »Ich weiß es nicht«, zischte Rachel. »Lars und ich halten den Reverend nicht für den Wundertäter und neuen Messias, für den er sich ausgibt. Wir sind gute Christen und wollten uns für die Allgemeinheit engagieren. Eines Tages erzählte uns ein Bekannter von der vorbildlichen Sozialarbeit des Volkstempels. So kamen wir mit der Kirche in Berührung und haben uns ihr kurz darauf angeschlossen. Von irgendwelchen Opfern gewalttätiger Übergriffe weiß ich jedoch nichts, Mr Ryan, obwohl mir als Krankenschwester so etwas aufgefallen sein müsste.«
    »Gibt es Bereiche in Ihrem Lazarett, die Ihnen verschlossen sind?«
    »In der ›Erweiterten Pflegestation‹ werden Sonderfälle behandelt, mit denen ich nichts zu tun habe. Warum fragen Sie?«
    »Was sind das für Sonderfälle?«
    »Da müssen Sie Doktor Schacht fragen.«
    »Das habe ich bereits.«
    »Und was sagt er?«
    »Ich solle mich um meinen eigenen Kram kümmern.«
    »Doktor Schacht ist ein Sonderling. Sie dürfen es ihm nicht übel nehmen.«
    »Na gut, vielleicht finden wir die Antworten, nach denen ich suche, auf andere Weise: Haben Sie jemals etwas von einem Robert Houston junior gehört?«
    »Der Name sagt mir nichts.«
    Ryan trank einen Schluck Limonade. Sein Gesicht wirkte mit einem Mal wie versteinert. »Der Vater dieses jungen Mannes ist Fotograf bei Associated Press. Wir sind befreundet. Sein Sohn wurde vor zwei Jahren angeblich von einem Eisenbahnzug getötet. Der Körper des Jungen war regelrecht zerfleischt, als habe irgendein Perversling Stew aus ihm kochen wollen.«
    Rachel starrte entsetzt in Ryans Gesicht. Nur mit Mühe brachte sie eine Antwort hervor. »Warum erzählen Sie mir das?«
    »Der Sohn von Robert Houston senior hatte erst kurz vor seinem Tod den Volkstempel verlassen. Angeblich soll er das Opfer einer Killertruppe gewesen sein, die sich ›Apostolische Beschützer‹ nennt.«
    »Und?«
    »Jemand behauptet steif und fest, die frommen Herren stünden unter Befehl von Jim Jones.«
    »Haben Sie Beweise dafür?« Rachels Stimme klang schroffer als gewollt. In Jonestown hatte sie manche Illusion verloren, aber so etwas…!
    »Ich bin unter anderem hier, um solche zu finden.«
    »Leider kann ich Ihnen bei dieser Suche nicht helfen, Mr Ryan. Mein Mann und ich sind erst letztes Jahr zum Volkstempel gestoßen, und

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