Der Sklave von Midkemia
Gerbereien, Schlachthöfe und Metzgerbuden reihten sich aneinander, und die Mischung aus Innereien, Färberbottichen und dem Dampf der Talgmacher erfüllte die Luft mit einem wirklich gräßlichen Gestank. Rauch stieg in kleinen Kringeln aus den Schornsteinen der Harzmacher, und am Flußufer waren an verwitterten Pfählen die Barken der Kaufleute und andere Hausboote festgebunden. Verkäufer wetteiferten um jede noch so kleine verbliebene Lücke, um ihre Waren den Scharen von Frauen und Arbeitern feilzubieten.
Jetzt mußten Lujans Krieger »Acoma! Acoma!« rufen, während sie die Menge beiseite schoben, damit die gewöhnlichen Leute wußten, daß eine große Lady vorbeikam. Andere Krieger preßten sich dicht an Maras Sänfte und schützten sie mit ihren gepanzerten Körpern vor möglichen Gefahren. Die Sklaven blieben eng zusammen, und das Gewirr der Massen wurde so stark, daß keiner der Männer mehr nach unten schauen und darauf achten konnte, wohin er trat. Die Krieger trugen Sandalen aus gehärtetem Leder, doch den Sklaven wie auch den Trägern blieb keine andere Wahl, als sich ihren Weg über zerbrochenes Geschirr, kleine Rinnsale aus Abwasser und anderen Müll hinweg zu bahnen.
Mara lehnte sich zurück gegen die wertvoll bestickten Kissen und drückte ihren Fächer gegen das Gesicht. Sie schloß die Augen und sehnte sich nach den weiten Wiesen ihrer Güter, die nach Sommergras und lieblichen Blumen dufteten. Nach einer Weile veränderte sich das Handwerkerviertel wieder; der Geruch nahm ab, und es wurde leerer, während die Fabriken für Luxusgegenstände zunahmen. Hier erledigten Weber, Schneider, Korbmacher, Schuhmacher, Seidenspinner und Töpfer ihr anstrengendes Tagewerk. Zwischen den Buden, die weniger wertvolle Waren feilboten, hatte sich hin und wieder der Laden eines Juweliers oder Parfümherstellers eingenistet, diese Läden wurden von bewaffneten Söldnern bewacht und wegen der nicht so angenehmen Lage überwiegend von den geschminkten Frauen der Ried-Welt besucht.
Die Sonne stand mittlerweile im Zenit. Schläfrig fächelte Mara sich hinter den Vorhängen Luft zu, dankbar, daß sie das Gedränge von Sulan-Qu endlich hinter sich ließen. Als ihr Gefolge im Schatten der immergrünen Bäume die Straßen entlangging, lehnte sie sich zurück und versuchte zu schlafen. In diesem Augenblick bemerkte sie, daß einer der Träger humpelte. Jeder Schritt ließ sie unangenehm auf den Kissen herumschaukeln, und eher deshalb, als um einem Mann unnötigen Schmerz zu ersparen, befahl sie anzuhalten und der Angelegenheit nachzugehen.
Lujan ließ die Träger von einem Soldaten untersuchen. Einer von ihnen hatte sich im Armenviertel einen tiefen Schnitt im Fuß zugezogen. Er war ein wahrer Tsurani und sich seiner Stellung bewußt, und so hatte er sich bemüht, seine Aufgabe weiter zu erfüllen, bis er vor Schmerz beinahe bewußtlos geworden war.
Mara war noch immer etwa eine Stunde von ihrem Herrenhaus entfernt, und unerträglicherweise besprachen sich die Midkemier wieder in dem nasalen Wiehern, das ihre Muttersprache darstellte. Mara fühlte sich ebensosehr durch ihr Geplapper wie durch die Verzögerung belästigt, und sie winkte Lujan zu sich heran. »Schickt den Rothaarigen her, er soll den lahmen Träger ersetzen.« Er mochte zwar ein Sklave sein, doch er verhielt sich wie ein Anführer, und da der Gestank des Armenviertels Mara Kopfschmerzen verursacht hatte, war sie zu beinahe jedem Hilfsmittel bereit, wenn es die Barbaren weniger aufmüpfig machte.
Die Krieger schafften den ausgewählten Sklaven sofort herbei. Der mit dem schütteren Haar protestierte lauthals und bekam einen Schlag verpaßt. Er fiel hin, ohne mit dem Geschrei aufzuhören, und verstummte erst, als der Rothaarige ihn dazu aufforderte. Der heftete nun seine blauen Augen neugierig auf die elegante Lady in der Sänfte und trat vor, um die freie Stange auf der linken Seite ganz vorn zu übernehmen.
»Nein«, rief Lujan sofort. Er gab dem hinteren Sklaven ein Zeichen, nach vorn zu kommen, so daß der Rothaarige jetzt hinter ihm stand. Auf diese Weise konnte ein Krieger mit gezogenem Schwert direkt hinter dem Barbaren gehen und Ärger oder Gefahr von seiner Herrin abwenden.
»Nach Hause«, befahl sie ihrem Gefolge, und die Träger bückten sich, um ihre Fracht zu schultern; unter ihnen auch der Rothaarige.
Die ersten Schritte waren vollkommenes Chaos. Der Midkemier war über einen Kopf größer als die anderen Träger, und als er sich
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