Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Wutausbruch des Schmieds kam völlig unerwartet. Awin blieb ruhig.
Er ahnte, dass diese plötzliche Ehrsucht Sewetis Einflüsterungen zu verdanken war, und sah dem Schmied gelassen in die Augen. »Ich glaube, du wirst heute viel Ruhm gewinnen, Harmin, vor allem wenn du mit dieser Handvoll Krieger ein Tor gegen hundertfache Übermacht hältst. Noch die Enkel deiner Enkel werden von dieser Tat erzählen, während ich mit Merege einen Kampf führen werde, den vielleicht noch nicht einmal jemand sieht. Aber es geht hier nicht um Ruhm, Schmied. Oder hast du vergessen, warum wir hier sind? Ich bitte dich also, diese gefährliche Aufgabe zu übernehmen. Du wirst nicht nur gegen Krieger, sondern auch gegen den Sturm kämpfen müssen.«
Der Schmied starrte ihn an. Seinem Gesicht war abzulesen, wie sehr er mit sich haderte. Schließlich stieß er hervor: »Gut, Yaman. Dann gib mir einige Ussar, und ich und meine Männer werden dieses Tor für dich verteidigen, wenn es sein muss, mit unserem Leben.«
»Gut«, meinte Mahuk, »ich zeige dir den Weg.«
Awin schüttelte den Kopf. »Deine Männer müssen ohne dich dort kämpfen, denn ich brauche dich als Führer in dieser Festung, Mahuk.« Und auch Tuge und Mabak durften Harmin nicht begleiten, obwohl sie sich anboten.
Kurze Zeit später verließ Harmin mit den Kriegern die Waffenkammer. Sie wollten versuchen, über die äußere Mauer ungesehen zum Tor zu kommen. Awin dachte, dass er vielleicht doch mehr Männer hätte mitnehmen sollen, aber sie hatten auf Heimlichkeit gesetzt, nicht auf große Zahl. Jetzt wäre er für mehr Krieger - und Kriegerinnen - dankbar gewesen, und er musste sich eingestehen, dass sein Plan Lücken hatte. Es waren außer Mahuk nur noch Merege, Wela, Tuge und Mabak bei ihm. Sie schlichen aus der Kammer in einen schmalen Gang, der an vielen Türen vorbeiführte.
»Dort geht es ins Freie. Auf den Fels. Es gibt keinen anderen Weg hinunter«, flüsterte Mahuk.
Sie schlüpften leise durch die Pforte. Draußen empfing sie das seltsam kalte Licht. Awin fragte sich, wann er erfahren würde, was es bedeutete. Es schien aus dem Innenhof der Festung zu kommen. Es war nicht die Art Licht, die ein Feuer hervorbringen würde, es erinnerte ihn eher an den Lichtzauber, den er bei Merege gesehen hatte, nur viel stärker. Mahuk wollte weiter, aber Awin hielt ihn zurück. Er wies auf die dunklen Gestalten, die über die äußere Mauer huschten. Er wollte Harmin und seinen Leuten Zeit geben, das Tor ungesehen zu erreichen.
Dort war ein Hindernis. Ein Wachtposten stand auf der Mauer und starrte hinaus in die Nacht. Ein Schatten tauchte neben ihm auf. Die beiden Umrisse verschmolzen miteinander, dann sank einer lautlos zu Boden. Immer noch gab es kein Anzeichen, dass ihre Feinde wussten, dass sie in der Festung waren. Harmins Männer verschwanden aus Awins Blickfeld. Erst jetzt fiel ihm das seltsame Geräusch auf, das die Luft erfüllte. Es war kaum hörbar, wie rieselnder Sand, und er fragte sich, ob es mit dem zuckenden kalten Licht zusammenhing, das aus dem Inneren der Festung aufstieg. Sie warteten, und Awin spürte, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug. Die Anspannung war fast unerträglich. Aus der Ebene wehte schwach Kampflärm heran. Mahuk nickte ihm zu. Also war er wohl der Meinung, dass Harmin das Tor erreicht hatte. Es blieb still. Nur das feine Flüstern in der Luft zerrte an ihren Nerven. Sie rückten vorsichtig weiter vor. Mahuk führte sie zur Treppe, die in den Stein gehauen war. Awin blickte sich um. Diese Festung glich keinem anderen Bauwerk, das er je gesehen hatte. Sie bestand aus einer Reihe mächtiger Felsbuckel, die auf der Fläche eines unregelmäßigen, gewaltigen Vierecks aus der Erde ragten. Sie mussten von
Riesen abgelegt worden sein, der blinde Zufall konnte sie nicht so angeordnet haben. Wo die Felsen einander nicht berührten, hatten Menschen Mauern gezogen, und auch die Rücken der Felsen waren von Wehrmauern und anderen Gebäuden gekrönt. Zwei wuchtige Türme schienen größere Lücken zu schließen, und auf der Spitze des höchsten Felsens ragte der schlanke Turm in die Höhe, den Awin schon in seinem ersten Traum von Pursu gesehen hatte. Sie schlichen vorsichtig weiter voran. Die Treppe war in den Fels geschnitten. Sie folgten ihr bis zum ersten Absatz, wo sie endlich den Blick auf den inneren Hof preisgab. Wie angewurzelt blieben sie stehen.
»Bei den Hütern«, flüsterte Tuge.
Sie hatten die Göttin gefunden.
Awin blickte
Weitere Kostenlose Bücher