Der Sohn des Tuchhändlers
doch dann ließ sie sich zu mir heranziehen. Sie legte ihre Stirn gegen die meine. Paolo kaute auf seiner Unterlippe. Ich fuhr ihm über die Haare, und er seufzte tief.
»Und zu dieser ganzen Misere brauchte es nicht einmal zwei Stunden«, sagte Jana dumpf in Richtung Fußboden.
»Es sind ganze Weltreiche in zwei Stunden gefallen.«
»Verglichen damit sind dein und mein Haus kleine Fische, was?«
Ich küsste sie auf die Nasenspitze. »Es war aber auch eine sehr schwierige Aufgabe, die du ihm da gestellt hast.«
»Keine Aufgabe ist schwierig, wenn man sich auf sie konzentriert.«
»Wenn es so einfach wäre«, sagte ich und streichelte ihre Wange, »das Haus Dlugosz und das Unternehmen Bernward & Partner vom Schreibpult aus zur reichsten Firma der Welt zu machen, hättest du es bestimmt schon vollbracht, meinst du nicht?«
Jana raffte die Blätter vom Schreibpult auf und hielt sie anklagend in die Höhe. »Es hilft dem Jungen nicht, wenn du ständig seine Partei ergreifst, weißt du?«, sagte sie.
»Jana, lass ihm Zeit zum Verschnaufen. Er ist noch so ein kleiner Kerl …«
»Peter, es war eine ganz einfache Aufgabe – und die meisten Probleme, die zu bewältigen waren, entsprechen der Realität …« Sie verstummte und senkte den Blick; sie hielt dieses Terrain, das wusste ich von einigen anderen Diskussionen in der jüngsten Vergangenheit, für schlüpfriger als ich selbst.
»Es ist Sebastian Löw ja gelungen, die Anleihen zurückzuzahlen.«
»Aber zu welchem Preis!«
»Immerhin waren die Zinsen, anders als in deiner Aufgabe, nicht so hoch wie zu den Zeiten der Kreuzzüge.«
»Deine Ruhe möchte ich haben, was das Geschäft angeht.«
»Du weißt doch, dass ich im Augenblick an ganz andere Dinge denke. Wozu habe ich einen Partner wie Sebastian? Er hat bis jetzt immer eine gute Idee gehabt – meistens eine bessere als ich.«
»Mein Vater hat mich Dutzende solcher Exempel rechnen lassen, als ich so alt war wie Paolo. Ich hab’s ihm sogar noch leicht gemacht und nur schöne glatte Summen vorgegeben. Die Söhne der Adligen verlassen in seinem Alter ihre Heimat und gehen als Pagen in die Fremde, weißt du – und da setzt es Hiebe von ihrem neuen Herrn, wenn sie was verbocken, und ein paar Nächte im Pferdestall.«
Die Blätter, auf denen unser Sohn seine Eltern bankrott gerechnet hatte, schwebten noch immer empört über unseren Köpfen. Ich schielte zu ihnen hinauf.
»Na ja, dafür haben wir ja …«
»Ich bin schon ein großer Junge, Herr Vater«, sagte Paolo plötzlich reichlich kontraproduktiv.
»Genau, dafür haben wir ja …«, echote Jana.
Ich breitete die Arme aus und verdrehte die Augen. »Also gut. Statt der Pagenschaft bei einem adligen Raufbold geht unser Paolo beim besten Bankier in die Schule, den die Stadt aufbieten kann. Und weil dies eine Ehre ist, die nicht jedem zuteil wird …«
»… und weil du bestimmt nicht willst, dass es heißt, Paolos einzige Qualifikation dafür sei die Freundschaft zwischen seinem Vater und besagtem Bankier …«
»Mojzesz würde ihn nicht nehmen, wenn er nicht wüsste, dass er das Zeug dazu hat.«
»Mojzesz Fiszel ist der gewiefteste Bankier und Kaufmann landauf, landab; ist der Bankier von König Kasimir; und ist unser Freund. Das sind mindestens drei Gründe, warum Paolo sich bei ihm nicht blamieren sollte.«
»Ich bin wirklich schon ein großer Junge, Herr Vater«, meldete sich Paolo.
»Wozu bin ich heute überhaupt aus dem Bett aufgestanden?«, klagte ich. »Man kümmert sich nicht darum, dass ich eigentlich keine Zeit habe, man schlägt mich in der Diskussion mit meinen eigenen Argumenten, und mein Sohn, für den ich mich in die Bresche werfe, fällt mir in den Rücken.«
Jana sah mich von oben bis unten an. Plötzlich lächelte sie. Mit Befremden erkannte ich, dass das Lächeln ihre Augen müde erscheinen ließ. Sie spitzte die Lippen, wie sie es immer tat, wenn etwas sie belustigte. »Du bist doch hier hereingestolpert wie ein verwundeter Türke, hast den halben Bretterstapel umgestürzt und uns aus der Konzentration gerissen.«
»Ich glaube, du ahnst nicht, wozu ein verwundeter Türke fähig ist.«
Ich fasste endlich nach oben und packte den Blätterstapel in Janas Hand. Einen Moment leistete sie noch Widerstand, dann ließ sie es zu, dass ich Stapel, Hand und Arm nach unten zog und ihr schließlich die Papiere wegnahm. Ich warf sie auf das Schreibpult. Jana senkte den Blick. Als sie wieder aufsah, wirkte ihr Lächeln noch müder als
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