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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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Momente, da er am liebsten Schauspieler oder Regisseur werden wollte.
    Aber angesichts der Tatsache, dass er in jüngeren Jahren lange eine Karriere als Gangster angestrebt hatte, stellten seine diversen neueren Pläne keinerlei Problem für mich dar.
    »Mitch? Mitch wird schon etwas finden. Solange er kein Krimineller wird, ist mir alles recht.«
    Mein Vater hatte nie viel zu Mitchs Plänen gesagt, als hätte er gespürt, dass sie ohnehin nicht das Richtige für ihn waren. Er hatte sich nach Mitchs Geburt irrsinnig schwergetan, sich an die Existenz dieses Enkelsohns zu gewöhnen, der mein erstes Kind war und sein erster Konkurrent um meine Zuwendung, die zuvor ungeteilt ihm gegolten hatte. Erst als Mitch ein halbes Jahr alt war, hatte er großmütig das Handtuch geworfen und Mitch von nun an genauso geliebt wie wir.
    Bei Tess war es anders. Zwischen ihr und meinem Vater war gleich alles gut. Tess war ein Kind, das nichts verlangte, nichts brauchte. Tess schuf sich ihr eigenes Universum und war unbeirrbar. Sie ähnele seiner Mutter, sagte mein Vater einmal. Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich an der Stelle nicht nachgehakt habe, sondern noch halb eifersüchtig auf Tess war und beleidigt fragte: »Mehr als ich?«
    13
     
    Die Landschaft wurde noch anmutiger, offener, freier. Ich war jetzt wirklich draußen, hier standen auch keine Häuser mehr.
    Es hätte mich nicht gewundert, wenn ich hier Dienstmädchen mit weißen Schürzen begegnet wäre, jung und fröhlich, die Arme voll mit Pilzen, die sie für ihre Herrschaften gesammelt hatten und ins Städtchen zurücktrugen. Pilze in Rahmsoße…
    Als Tara und ich junge Mädchen gewesen waren, hatte mein Vater uns mit seiner als Zorn getarnten Besorgnis zur Weißglut getrieben. Ich hatte es trotzdem immer hingenommen. Diese Besorgnis war ja nichts anderes als Liebe. Beides gehörte fest zusammen: Liebe plus Angst gleich wahre Liebe. (Das heißt, sehr große Angst – und damit auch sehr große Liebe, wie ich hoffte.) Tara aber litt darunter. Der Jähzorn meines Vaters, Begleiterscheinung seines Optimismus (abgesehen von seiner unausstehlichen Einmischerei), machte sie verrückt. Tara war oft böse auf ihn, und auf mich gleich mit. Sie wollte meinen Vater nicht verstehen und ärgerte sich schwarz, wenn ich ihn verteidigte. Vielleicht war ich auch feiger als sie. Ich traute mich ja nicht mal, böse auf meinen Vater zu sein. Meine Schwester beschimpfte ihn manchmal glattweg, schrie »Arschloch!« und haute ihm um die Ohren, wie sehr er ihr mit seiner Vergangenheit das Leben vermiese. Weil sie abends nicht wegdürfe, weil er gar kein Interesse an ihrem Leben habe. Weil gegen seinen Krieg alles andere unwichtig sei. »Du immer mit deinem Krieg! Ich hasse deinen Scheißkrieg!«, kreischte sie dann.
    So etwas konnte ich nicht sagen, konnte ich nicht einmal denken. Es verschlug mir die Sprache und die Laune, wenn Tara es tat – ich wünschte, er würde ihr einfach eine Ohrfeige geben, damit sie mal einen Dämpfer bekam und in Zukunft den Mund hielt. Aber er schritt meistens nicht groß ein. »Aber, aber, Taartje!«, murmelte er höchstens schwach, und das war schon eine Menge.
    Herman sollte seine Töchter nicht verlieren. Wir verloren ihn.
    Und genaugenommen verloren wir ihn an seine Mutter. Denn zu ihr ging er letztlich zurück. Daran zu glauben, war ein schöner Gedanke.
    14
     
    Es war schon dunkel, als ich das Hotel wieder betrat. Schwere Essensgerüche empfingen mich. So roch es hier abends bestimmt seit Jahrzehnten, im endlosen Trott der obligatorischen althergebrachten Gerichte.
    Tara war auf ihrem Bett eingenickt. Im Schlaf sah sie lieb aus. Sie schnarchte leicht.
    Ich duschte so leise ich konnte, um Tara nicht zu stören. Zog saubere Sachen an. Bestimmt war mein Hunger Auslöser dafür, aber ich hatte plötzlich Lust darauf, in das Dunkel einer mondänen Stadt hinauszuziehen, Lust auf Restaurants, gut gekleidete Menschen, Lust darauf, das andere Wasser hier zu kosten, Deutsches zu kosten. Nur weg hier, aus diesem kleinen Hotelzimmer.
    »Tara, aufwachen«, flüsterte ich. »Kommst du mit?«
    Tara brummte etwas: »Was?«
    »Bist du jetzt etwas besser drauf, Taar? Wollen wir essen gehen? Mama wartet bestimmt schon unten… Ich bin eine Runde gejoggt.«
    Tara sagte nichts.
    Tara wollte nicht mit.
    Sie fuhr am nächsten Morgen nach Hause zurück. Das war die Quintessenz ihrer Bedenken.
    »Aber du wolltest doch so gerne mitkommen! Jetzt bist du umsonst so weit gefahren!«,

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