Der Sommer der Frauen
Fenster tobte. Sie schlief, während die Frühaufsteher unter den Gästen unten im Garten aufgeregt schnatternd ihren Tag planten. Sie schlief, wenn Grillen zirpten und andere duschten, sie schlief, wenn Isabel schnarchte, und hatte geschlafen, wenn June sich spätabends auf der Suche nach Charlies Vater durchs Netz geklickt hatte.
Doch in letzter Zeit wachte Kat oft mitten in der Nacht auf, nicht schweißgebadet oder weil sie schlecht geträumt hatte, sondern einfach so, ohne zu wissen, weshalb. Und dann dachte sie an Oliver und sein
Willst du mich heiraten oder nicht, Kat?
dröhnte ihr in den Ohren. Dann schob sich Matteos sexy Gesicht ins Bild und seine Einladung, mit ihm nach New York zu ziehen, um herauszufinden, was genau zwischen ihnen war.
Es war kurz nach ein Uhr morgens. Entnervt von der endlosen Hin- und Herwälzerei stand Kat auf, schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer, um ihre Cousinen nicht zu wecken, und ging nach unten in den Aufenthaltsraum. Sie holte sich eine Zeitschrift vom Lesetisch, um dann doch wahllos im Fernsehprogramm zappend auf dem Sitzsack zu landen. Nichts vermochte sie zu fesseln. Sie kramte in Lollys DVD -Sammlung und stieß auf
Julie & Julia
, der versehentlich zwischen den Susan-Sarandon-Filmen gelandet war.
Julie & Julia.
Kat drehte die Hülle um und las die Inhaltsangabe. Wie hatte sie den Film nur verpassen können, als er vor ein paar Jahren ins Kino kam? Meryl Streep als junge Julia Child in Paris, die im
Cordon Bleu
das Kochen lernt. Amy Adams als Julie Powell, die jung, verheiratet und frustriert in Queens hockt und auf der Suche ist, ohne zu wissen, nach was. Und sich plötzlich dazu entschließt, jedes einzelne von Julia Childs Rezepten aus ihrem berühmten Kochbuch
Mastering the Art of French Cooking
nachzukochen. Ein Film, der auf zwei wahren Geschichten beruhte. Kats Herz machte einen Sprung. Genau der richtige Film für eine Nacht wie diese. Sie ging in die Küche, kochte eine Kanne Tee, stibitzte sich aus der ISS MICH !-Dose einen Zitronen-Cupcake und machte es sich auf dem Sitzsack bequem.
Plötzlich befand sie sich zusammen mit Julia Child im Paris der späten vierziger Jahre. Julia hat sich ohne jegliche Vorkenntnisse für einen Kurs in der berühmten Kochschule eingeschrieben und beherrscht schon bald durch ihre «Öffnung von Herz und Seele» die Kunst der französischen Küche. Wieder einmal erweckte Meryl Streep einen Charakter auf eine Art und Weise zum Leben, die Kat völlig vergessen machte, dass sie Meryl Streep und nicht Julia Child persönlich vor sich hatte. Sie streifte mit Julia durch die Stadt der Lichter, die Stadt ihrer Träume. Die Stadt, nach der Kat sich nach mehr als allem anderen sehnte.
Zum Beispiel danach, zu heiraten. Oder sich endgültig in Boothbay Harbor niederzulassen – auf absehbare Zukunft, jedenfalls. Kat hatte jetzt die Gewissheit, dass ihre Mutter auch glücklich wäre, wenn sie fortging und ihre Träume verwirklichte, genauso glücklich, wie wenn sie den Jungen heiratete, der ihr, seit sie fünf war, nicht mehr von der Seite wich. Ihre Mutter wollte, dass sie die Weichen für ihre Zukunft aus den richtigen Gründen stellte. Das wusste sie nun.
Sie bekam eine Gänsehaut bei der Szene, in der Julie Powells Ehemann sie in ihrem wahnwitzigen Projekt bestärkt, innerhalb eines einzigen Jahres alle 524 Rezepte aus Julia Childs Buch nachzukochen, weil er es ihr zutraut, weil sie, wie alle anderen, eben irgendwo anfangen müsse. «Julia Child war doch auch nicht immer schon Julia Child», sagt er zu ihr. Ein Satz, der auch aus Olivers Munde hätte stammen können.
Ob Oliver sie ziehen lassen und ihr «bon voyage» wünschen würde? Oder sollte sie ihn bitten, mitzukommen?
Kats Lieblingszitat dieses Films stand jedenfalls fest. Es stammte von Meryl Streep, die ihrer Brieffreundin von dem Kochunterricht erzählt und das scheußliche Verhalten und die Blicke der anderen, ausschließlich männlichen Kursteilnehmer schildert – «bis sie merkten, dass ich furchtlos war».
Furchtlos.
Genau das wollte Kat sein. Sie mochte die Seite in ihr, die nicht länger mit dem Geständnis ihrer Mutter gehadert hatte, was die Nacht betraf, in der ihr Vater ums Leben gekommen war. Die Seite in ihr, die Harrison Ferry kurzerhand eine E-Mail geschickt hatte, ohne den geringsten Schimmer zu haben, wer er war oder was sie mit ihrer Mail auslösen könnte. Es war ein Start in die richtige Richtung. Ihrem Herzen zu folgen statt ihrer Angst.
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Der
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