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Der Sommer der Lady Jane (German Edition)

Der Sommer der Lady Jane (German Edition)

Titel: Der Sommer der Lady Jane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Noble
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zierliche Victoria versank fast in dem langen, schwarzen Umhang und wirkte kindlicher als je zuvor – aber der entschlossene Zug um ihren Mund, die trotzige Herausforderung in ihrem Blick – das war sehr erwachsen, ganz so, als sähe sie die Welt zum ersten Mal so, wie sie tatsächlich war.
    »Meine Eltern haben unrecht«, sagte Victoria felsenfest überzeugt. »Jane, du hättest sie hören sollen. Ehrlich gesagt, ich bin froh, dass du sie nicht gehört hast. Meine Mutter war entsetzlich, sie hat dich verurteilt, als ob du … eine … eine gefallene Frau wärst!«
    Jane verspürte nicht das Bedürfnis, sich darüber auszulassen, dass sie genau genommen durchaus gefallen war. Ziemlich hart sogar und das auch noch öffentlich.
    »Aber warum versteckst du dich in meiner Kutsche?«
    »Weil du meine Freundin bist«, entgegnete Victoria, die Augen erstaunt aufgerissen. »Ich konnte mir doch nicht erst anhören, wie du verurteilt wirst, und dann zulassen, dass du allein fortgeschickt wirst! Das hast du nicht verdient. Und …«
    »Und?« Jane zog die Augenbrauen hoch.
    Zögernd biss Victoria sich auf die Lippen. »Und heute Nacht ist mir einiges klar geworden … plötzlich wollte ich nicht mehr in Reston bleiben.«
    Jane nahm die Hand ihrer Freundin in ihre. Victoria lächelte tapfer, bevor sie den Blick senkte und mit dem langen Ärmel ihres übergroßen Umhangs zu spielen begann.
    »Du hast es die ganze Zeit gewusst, nicht wahr? Dass Jason mich niemals lieben wird.«
    Jane nickte knapp, aber nicht unfreundlich. Jetzt begriff sie. Das, was Victoria klar geworden war, würde jeden dazu bringen, die Flucht zu ergreifen. An einen Ort zu fliehen, an dem alles neu war, und jemand anderer zu werden. Nichts anderes hatte Jane auch schon versucht. Damals, nach dem Tod ihrer Mutter, als sie sich Hals über Kopf in das Londoner Gesellschaftsleben gestürzt hatte, um sich darin zu verlieren. Die Rechnung war nicht aufgegangen.
    »Victoria«, fing Jane sanft an, »mit Enttäuschungen und Schwierigkeiten … kannst du nicht fertig werden, indem du fortläufst.«
    »Ich weiß«, erwiderte Victoria. »Ich komme mir in der ganzen Sache so unsäglich … dumm vor. Aber … mehr noch als das, hat es mir eines klargemacht: Man muss sich nicht schämen, wenn man sich wünscht, jemanden zu finden, der einen so ansieht wie Mr Worth dich ansieht, und den man auf dieselbe Weise ansehen möchte … Aber meine Eltern und ihre Freunde in Reston und überhaupt die ganze Welt will, dass du dich schämst.« Victoria schaute Jane mit Tränen in den Augen an. »Ich finde nicht, dass du dich schämen solltest.«
    Ohne nachzudenken verließ Jane ihren Platz und setzte sich neben Victoria. Sie schlang die Arme um sie und hielt sie fest. Der Gefühlsausbruch überraschte Victoria ebenso wie Jane selbst.
    »Danke«, wisperte Jane mit einer Stimme, die wackliger als erwartet klang. Denn dies waren die ersten unterstützenden Worte gewesen, die man ihr gesagt hatte, seit sie die Welt über die Sache mit Byrne in Kenntnis gesetzt hatte. Es tat so ungemein gut, jemanden an seiner Seite zu haben. Jemanden, der mit ihr befreundet sein wollte, ganz gleich, welche Folgen es nach sich zog. Dabei hatte sie gar nicht gewusst, dass sie genau dies brauchte, und umso dankbarer war sie. Wie auch immer …
    »Victoria, ich kann dich nicht so einfach entführen«, erklärte Jane, als sie sich aus der Umarmung zurückzog und sich eine verirrte Träne von der Wange wischte.
    »Es ist keine Entführung«, protestierte Victoria schwach und brachte Jane zum Lächeln. »Ich komme doch freiwillig mit.«
    »Ich weiß das wohl«, sagte Jane bedauernd, »aber deine Eltern werden vor Sorge halb wahnsinnig werden.«
    Victoria zuckte die Schultern, doch dann nickte sie kurz. Sie ließ sich gegen das Polster zurücksinken, denn es erschöpfte sie sehr, dass sie zuerst wie verrückt alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um Reston zu verlassen, jetzt aber doch zur Rückkehr bereit war.
    Victoria klopfte an das Dach der Kutsche und wartete, dass der Wagen langsamer fuhr, um dann zu halten. Aber er hielt nicht.
    Wieder klopfte sie. Als die Antwort immer noch ausblieb, presste Jane die Lippen zusammen und streckte den Kopf zum Fenster hinaus.
    »Entschuldigung!«, rief sie dem Kutscher und seinem Beifahrer gegen den Wind zu, »aber wir müssen umkehren!«
    Der zweite Mann, (den Jane als den Lakaien Freddy erkannte), drehte seine massige Gestalt zu ihr und lehnte sich vorsichtig hinunter,

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