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Der Sommer der Lady Jane (German Edition)

Der Sommer der Lady Jane (German Edition)

Titel: Der Sommer der Lady Jane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Noble
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Prolog
    Vor langer Zeit, bevor England ganz und gar von gepflasterten Straßen und Eisenbahnschienen durchzogen wurde, gab es in der Grafschaft Lancashire ein kleines Dorf namens Reston, von dem niemand besonders Notiz nahm. Wer dort wohnte, wusste selbstverständlich über die weite Welt Bescheid und nahm auch an ihrem Geschehen teil – man zahlte Steuern und schlug die Schlachten, die bedeutendere Männer zu schlagen befahlen. Natürlich warf man gelegentlich auch einen Blick in die Journale, in denen die neueste Mode vorgestellt wurde und aus denen man erfuhr, welche Tänze zurzeit getanzt wurden. Von weitaus größerem Interesse für das Dorf war jedoch, ob die Forellen wieder flussaufwärts wandern würden, wann der Sommerkürbis geerntet werden konnte und ob der Gemeinderat eine Kuhtrift über Morgans Farm beschließen würde.
    Reston lag zauberhaft gebettet an einem Fluss, der zwei kleine Seen verband, und dessen Tal von bemerkenswerten Fjells und Bergen umgeben war. Wir wollen uns dem östlichsten See zuwenden, dem Merrymere. Zwar gehörte der See nicht zu jenen grandiosen Gewässern, von denen sich die meisten Touristen angezogen fühlten; dennoch bot er sowohl den Einheimischen wie auch vereinzelten Ausflüglern, die sich verlaufen hatten und durch südlicher gelegene Ortschaften wie Windermere oder Coniston Water streiften, eine herrliche Aussicht und einen angenehmen Zeitvertreib.
    Die Menschen in Reston amüsierten sich genauso wie die in anderen Dörfern, sie verdienten sich ihren Lebensunterhalt auf die gleiche Weise, sie beteten, tanzten, lebten, liebten … sie taten kurz gesagt all die Dinge, die Menschen zu Menschen machen. Der vornehmlichste Klatsch und Tratsch drehte sich um öffentliche Belange, und die größte Angst hatten sie vor Fremden, die ihnen noch nicht vorgestellt worden waren. Jeder in Reston war freundlich und höflich und hielt sich – das vor allem – an die Regeln von Sitte und Anstand.
    Jeder. Mit einer Ausnahme.
    Er sei, so hieß es, ein Held. Andere glaubten, er könne ein feindlicher Soldat sein, der sich in ihrem glückseligen Tal feige versteckte. Wieder andere – die Romantiker – hielten ihn für eine verlorene Seele; und dann gab es noch jene, die in ihm nichts als ein Scheusal sahen. Aber jeder von ihnen hatte nach der ersten Begegnung mit ihm eines begriffen: dass es galt, dem Haus der alten Witwe Lowe fernzubleiben, weil ihr Neffe – der Mann, der ihr Erbe angetreten hatte – jeden sofort von seiner Tür verscheuchte und in die Geborgenheit des Dorfes zurückjagte.
    Man flüsterte sich zu, er habe Albträume. Schreckliche Nachtgesichte von Blut und Wasser und Schießpulver, die ihn verfolgten und im Schlaf aufschreien ließen – klagende Laute, die weit über den See trugen; die Schreie eines Verdammten, der zur Hölle fuhr.
    Aber sosehr seine Anwesenheit die Menschen auch irritieren mochte, ihre aufrechte britische Seele weigerte sich beharrlich, sich ihren Ängsten zu beugen. Und so lebten die Leute von Reston ihr Leben und schenkten dem anderen Ufer des Sees und seinem einsamen Bewohner keine Beachtung mehr. Wie auch er ihnen keinerlei Beachtung schenkte. Das Dorf stand des Morgens auf, aß, arbeitete, redete, trank Tee, tanzte und schlief, während es im hintersten Winkel seines Gedächtnisses das Wissen verwahrte, dass nur wenige Meilen entfernt die Gefahr in Gestalt eines Ungeheuers lauerte.

1
    Lady Jane Cummings, einzige Tochter des Dukes of Rayne, Großcousine zweiten (oder dritten?) Grades des Prinzregenten und gefragteste Ballschönheit der Londoner Gesellschaft, befand sich in Schwierigkeiten.
    Und das hatte sie einzig und allein Phillippa Benning zu verdanken.
    Beziehungsweise Phillippa Worth, wie Jane sich jetzt angewöhnen musste, ihre Freundin zu nennen. Allerdings blieb unbestimmt, wie lange dieser neu geschlossene Freundschaftsbund wohl noch bestehen mochte, wenn Phillippa sie weiterhin in Situationen brachte, die zu solch groben Schnitzern führten.
    Verflixt, jetzt hatte sie schon wieder einen Schritt ausgelassen.
    In diesem Moment, in dem Lady Jane stocksteif in Phillippas großem Ballsaal stand, hätte man sie mit einer Statue verwechseln können. Der Saal war hochzeitlich geschmückt; zwischen riesigen Bouquets aus bunten Sommerrosen waren aus weißer Seide lauschige Pavillons errichtet worden. Die Tanzenden, ebenso farbenfroh anzusehen wie die Blumen, wirbelten um Lady Jane herum und setzten ihre Schritte heiter-beschwingt im Takt der

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