Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
fügte Corinne mit Computerstimme hinzu. »Sie kennt jeden hier draußen.«
»Leute aus anderen Schulen?«, versuchte ich ihr zu folgen, während ich anfing, meinen Koffer auszupacken, aber ich fühlte mich desorientiert.
»Nein, Mimi!« Corinne riss die Augen ganz weit auf und schüttelte den Kopf, als hätte ich etwas liebenswert Dummes und Lustiges gesagt. »Collegetypen. Typen mit eigener Softwarefirma. Aber keine Spießer«, fügte sie rasch hinzu und blies heftig Rauch durch die Nase. »Durch ihre Mutter kennt sie auch eine Menge Leute aus der Modebranche. Sogar den Sohn von Aram Amiri, ist das nicht der Wahnsinn?«
Ich hasste es, wenn Leute so taten, als würden sie ein Wort oder eine Tatsache kennen, obwohl sie noch nie davon gehört haben, deshalb sagte ich Corinne die Wahrheit: »Ich weiß nicht, wer das ist.«
»Du hast noch nie von Aram Amiri gehört?« Corinne sah aus, als würde sie vor Unglauben in Ohnmacht fallen.
Ich schüttelte den Kopf.
»Der Designer!«
»Vielleicht, ich meine, ja na klar«, log ich. Ich verachtete mich dafür, aber diesmal konnte ich irgendwie nicht widerstehen.
»Er ist ja nur der berühmteste Modedesigner der Welt!«, rief Corinne aus. »Dieses Top ist von ihm«, erklärte sie und drehte sich im Kreis wie ein Model, um das zitronengelbe, bequeme T-Shirt zu zeigen, das sie trug. Es hatte einen Riss direkt unterhalb der Brust und hätte an jedem Mädchen mit Busen ordinär gewirkt – an mir zum Beispiel –, doch an Corinne sah es elegant aus, wie direkt aus der Vogue.
»Egal«, fuhr sie fort und drückte ihre Zigarette aus. »Jedenfalls sieht sein Sohn Aram Junior einfach unverschämt gut aus. Er wird mein nächstes Projekt.« Ihre Augen funkelten, als sie sich mit ihrer manikürten Hand durch das glänzende, sonnengebleichte, blonde Haar fuhr. »Er geht mit Ivory, dem Mädchen, das beim letzten Mal America’s Next Topmodel gewonnen hat. Ich werde mir schon etwas einfallen lassen müssen, um an ihn heranzukommen.« Voller Vorfreude riss sie Augen auf. »Das wird ein Spaß!«
»Und was ist mit Alessandro?« Vielleicht war es spießig, Corinnes Freund aufs Tapet zu bringen. Aber sie hatte das Thema angeschnitten, und ich musste mich sehr anstrengen, um mit ihr Schritt zu halten.
»Alessandro.« Ein leichtes Lächeln umspielte Corinnes Lippen, als sie sich zu mir umdrehte. Ihr Blick war teilnahmslos und abwesend. Entweder sie vermisste ihn, oder sie konnte sich nicht daran erinnern, wer er war. Dann schien sie in die Gegenwart zurückzukehren und grinste breit. »Er ist nicht hier, oder?«, sagte sie durchtrieben. »Und selbst wenn er es wäre«, fügte sie achselzuckend hinzu, »er besitzt mich nicht. Er kann mich nicht mal erreichen, es sei denn, er ruft auf dem Festnetz an.«
Seltsam. Ich konnte nicht erkennen, ob Corinnes gleichgültige, blasierte Haltung ihrem Freund gegenüber echt war oder nur gespielt, um raffiniert und erwachsen zu wirken. Doch was, wenn sie nicht gespielt war? Was sollte das denn, mit jemandem zusammen zu sein, den man nicht liebte? Während ich einen Stapel T-Shirts auspackte, empfand ich etwas, von dem ich nie geglaubt hätte, dass ich es empfinden könne: Ich fühlte mich von Corinne aus der Fassung gebracht. Sie schien ständig eine andere zu ein, von einer Minute zur anderen, wie ein wandelnder Zaubertrick.
Was immer es war: Mir ging es zu schnell. Vielleicht lag es daran, dass ich aus Athens, Georgia stammte. Das konnte man mit Manhattan wirklich nicht vergleichen.
Und ich hatte das unangenehme Gefühl, dass mich Corinne zum ersten Mal im Leben mit der Nase darauf stoßen wollte.
An diesem Abend veranstalteten wir ein Picknick am Strand, bei dem Muscheln und andere Meeresfrüchte auf heißen Steinen gebacken wurden. Corinne und Beth stahlen sich davon, um zu rauchen, doch ich genoss zu sehr die köstlichen, in Seetang gebackenen Muscheln, die förmlich auf der Zunge zergingen, um mich ausgeschlossen zu fühlen. Nach dem Abendessen forderte meine Mutter Eva auf, etwas vorzuführen, als sei sie ein dressierter Seelöwe. So von sich überzeugt, wie Eva war, zerriss sie die Stille Southamptons mit einem derart kreischenden, bescheuerten Lied, dass sie ein Schiff damit hätte zum Kentern bringen können.
»My hand, your hand, footprints in the sand«, jodelte Eva wie bei einem Vorsingen für American Idol. Sie und Mom glauben tatsächlich, dass sie dort eines Tages als Siegerin hervorgehen würde. Als sie die Hand aufs Herz legte wie
Weitere Kostenlose Bücher