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Der Sommer der Vergessenen: Band 1 von 2 (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen: Band 1 von 2 (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen: Band 1 von 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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und schmächtig. Pony, Mondgesicht, die Wangen mit einem Rest von Babyspeck. Aber etwas stört das Bild. Da ist etwas in Noris mandelförmigen Augen. Etwas schwer Definierbares, das nicht da hingehört. Ein Funke von Wissen, der in den Augen eines Kindes nichts zu suchen hat. Braun merkt, dass er starrt und Nori seinen Blick gelassen erwidert.
    „Wie kann ich Sie davon überzeugen, dass ich die Wahrheit sage, Doc?“
    „Ich weiß es nicht. Erzählen Sie mir von Ihrer Reise.“
    „Wenn Sie möchten. Haben sie viel Zeit mitgebracht?“
    „Ich bin für Sie da. Aber ist es nicht gefährlich, wenn Sie mir verraten, was die Zukunft bringt? Haben Sie keine Angst, dass dann das Raum-Zeit-Gefüge zusammenbricht?“
    „Das ist mir scheißegal. Aber eine Zigarette wäre cool.“
    „Vergessen Sie’s!“
    „Okay. Aber ein Kaffee muss drin sein.“
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     

Montag, 8. Juli 1985
     
     
    Blinzelnd öffne ich meine Augen.
    Oh I'm a lonely stranger in a time bomb town
, dudelt der Radiowecker. Er zeigt 05:30 Uhr. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich diese Uhrzeit zuletzt auf dem Display leuchten sah. Vor neun gehe ich nie ins Büro.
    Ich besitze auch gar keinen Radiowecker!
    Erschrocken fahre ich hoch. Ich strecke den Arm aus, um das Licht einzuschalten. Mit der Hand stoße ich gegen eine Holzwand, wo keine sein sollte. Ich strample das Federbett von mir. Es ist dick und schwer wie ein alter Hund. Ich trage einen Pyjama aus Frottee und sehe aus wie ein Waschlappen! Schemenhafte Umrisse werden im Halbdunkeln sichtbar. Regale, ein Schrank. Poster an den Wänden.
    I got a bad complication, I keep it to myself,
singt Lindsey Buckingham im entspannten Säuselton. Der hat die Ruhe weg! Schweiß schießt aus meinen Poren. Vorsichtig stehe ich auf. Das Bett scheint mir sehr hoch. Meine nackten Füße berühren einen unebenen Holzboden. Er ist kalt und knarrt verächtlich unter meinen zögernden Schritten. Aber auch vertraut. Mein Magen krampft sich zusammen. Ist es möglich?
    In der Wand, hinter einem Rollo, leuchtet matt das große Rechteck eines Fensters. Ich zögere, wische mir Schweiß von Stirn und Oberlippe und ziehe kurz und kräftig an der Kordel. Das Rollo schnellt nach oben und gibt den Blick frei. Dämmerung. Die Venus steht noch am Himmel über dem Giebel des Nachbarhauses. Der regennasse Asphalt der Straße reflektiert das Licht der Laternen. Das Geräusch eines Autos durchbricht die Stille. Ich sehe die Scheinwerferkegel, dann rauscht es vorbei. Ein Kadett. Mein Herz rast. Instinktiv finde ich den Lichtschalter. Ich betätige ihn und sehe mein Spiegelbild in der Scheibe. Der Schreck raubt mir den Atem. Ich taumele zurück, setze mich aufs Bett, vergrabe das Gesicht in den Händen und versuche an etwas Beruhigendes zu denken. Es gelingt mir nicht. Meine Haut fühlt sich seltsam an. Weich, frisch. Jung!
    Ich stehe wieder auf und stelle mich dem Unfassbaren. Ich bin klein. Unglaublich klein. Vorsichtig lüfte ich meine Pyjamahose. Ich bin wirklich sehr klein! Auf meinem Pyjamaoberteil ist ein Bild von Luke Skywalker.
Die Macht ist mir dir, Nori
, scheint er mit dem Blick seiner tiefgründigen blauen Augen zu sagen.
Recht hast du, Luke!
    So gestärkt akzeptiere ich die gespiegelte, unwiderlegbare Realität. Mein Kopf ist groß wie ein Medizinball. Hängende Schultern, langer Hals. Mein Haar ist wieder braun. Nein, es ist noch braun. Ich bin wieder Kind. Ich bin zurück!
     
    Als ich noch ungläubig meinen Körper betaste, nehme ich in der Spiegelung eine Bewegung wahr, die nicht die meine ist. Schnell schalte ich das Licht aus, damit das Draußen hinter dem Fenster sichtbar wird. Im Haus gegenüber brennt kein Licht. Aber ich erahne eine Gestalt. Ein dunkler Schemen, verborgen hinter der Gardine. Ich erinnere mich an Frau Engler und muss grinsen. Sie schiebt mit einer Hand die Gardine beiseite und glotzt in mein dunkles Fenster wie in einen kaputten Fernseher. Sie hat Lockenwickler in den Haaren und sieht ganz verkniffen aus. Ich schalte das Licht an.
    Ertappt, alte Unke!
    Frau Engler starrt mich erschrocken an, und ich starre zurück. Dann winke ich und ziehe das Rollo mit einem Ruck zu.
    Am Radiowecker drücke ich solange auf den Knöpfen herum, bis er mir das Datum anzeigt: 8. Juli 1985. Ich bin dreizehn, und mir bleiben sechs Tage, um die Welt zu retten.
     
    Mein Zimmer ist viel kleiner als in meiner Erinnerung. Einige der Dinge, die ich hier sehe, besitze ich heute noch. Also das

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