Der Sommer der Vergessenen: Band 1 von 2 (German Edition)

Zähne hingen ihm aus dem Mund, als würde er sich auf eine Unterlippe beißen, die nicht da war. Vier kurze Stummelbeine, alle in einer Reihe nebeneinander, wirbelten unruhig über den feuchten Boden. Er schien sich über irgendetwas unglaublich zu freuen. Wild wedelte er mit seinem kurzen Schwanz.
    Driftwood sah zufrieden aus. „Na ja, nicht schlecht fürs Erste. Irgendwie niedlich. Aber irgendwie auch traurig. Wir sollten es töten.“ Als Driftwood sprach, bewegten sich die Ohren des Hundes wie kleine Antennen.
    „ Töten?“ Socke war empört. „Wir haben es erweckt. Wir sind jetzt verantwortlich für das da!“
    Der Blick des Hundes wanderte unschlüssig zwischen den Nachtalben hin und her. Schließlich verharrte er bei Driftwood.
    „ Er will was sagen. Na, mein kleiner Freund. Was möchtest du uns mitteilen?“
    Die vorstehenden Zähne des Hundes bewegten sich auf und ab. Dann hustete er Driftwood einen grünen Schleimbrocken auf den Pelz. Entsetzt schaute Driftwood an sich herab.
    „ Das ist widerlich. Unglaublich widerlich ist das!“ Er versuchte, den zähen Schleim abzustreichen, aber er zog nur lange Fäden zwischen seinen Pfoten. Der Hund hüpfte fröhlich auf der Stelle und machte laut „Brrr.“
    Socke grinste. „Somit hast du dir gerade selbst einen Namen gegeben, mein kleiner Freund Kotze.“
     
     

Kapitel 10
    Die Nachtalben und Kotze folgten dem Bachlauf. Kotze trippelte mit flinken Schritten ins flache Wasser und freute sich über das Spritzen.
    „ Kotze, nein“, mahnte Socke zum wiederholten Male.
    Driftwood nahm Kotze und setzte ihn sich auf den Kopf.
    „ Hier kannst du nicht so viel Lärm machen.“
    Die Regenwolken hatten sich verzogen, und die Nacht war jetzt weniger dunkel. Dies bemerkten auch die Nachtalben, und es bereitete ihnen Kopfzerbrechen. Das machte es noch schwieriger, ungesehen in die Stadt zu gelangen.
    „ Wer weiß“, sinnierte Socke, “vielleicht sind die Menschen von Neunseen ja inzwischen toleranter gegenüber Fremden.“
    „ Mag sein“, erwiderte Driftwood, „aber ob das auch für das Nachtvolk gilt, wage ich zu bezweifeln. Und der Versuch alleine könnte uns die Köpfe kosten.“ Er strich sich mit einem Finger über die Kehle.
    Der Bach bog jetzt nach Süden, und sie folgten ihm nicht länger. Stattdessen stapften sie eine Anhöhe hinauf, die vor ihnen Richtung Westen aufstieg. Die Erde war noch feucht vom Regen, und sie mussten vorsichtig sein, um nicht den Halt zu verlieren.
    „ Du, Drift?“, begann Socke vorsichtig. „Hast du eine Idee, wie wir jemanden ausfindig machen, der uns helfen kann? Und will.“
    Driftwood schnaubte. Der Anstieg war ihm zu anstrengend. „Natürlich. Ich dachte mir das in etwa so: Entschuldigen Sie bitte, wir sind zwei Nachtalben auf der Suche nach einem Buch. Und wenn wir es finden, wird die Welt, wie Sie sie kennen, vielleicht nicht mehr lange existieren. Können Sie uns gerade mal helfen? Wir können niemanden fragen!“
    Socke blieb stehen. „Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass es diesmal ohne Gaunereien gehen muss? Ich will das nicht mehr. Du weißt doch selbst, wo uns das beim letzten Mal hingebracht hat. Und der Meister …“
    „ Der Meister hat uns einen Auftrag gegeben! Mehr nicht! Und ich denke, dass wir schon lange genug hier unsere Zeit verplempern. Punkt!“ Driftwood beschleunigte seinen Schritt.
    Socke seufzte und beeilte sich, um zu ihm aufzuschließen. „Also sprechen wir hier von Entführung?“, fragte er. Driftwood breitete beschwörend die Arme aus. „Ich weiß es doch selbst noch nicht. Erstmal müssen wir zur Stadt, dann müssen wir in die Stadt. Dann sehen wir weiter.“
    „ Dann sehen wir weiter? Was ist das denn für ein Plan?“ Driftwood raunte verächtlich. Socke sagte lieber nichts mehr.
    Schweigend erreichten sie das Plateau am Kopf der Erhebung. Socke korrigierte den Sitz seiner Umhängetasche und begann mit Dehnübungen für die strapazierte Muskulatur.
    „ Kurze Pause“, murmelt Driftwood. Er setzte Kotze ab und sank mit dem Rücken an einen Baum gelehnt zu Boden.
    Socke schaute ins Tal hinab. Sie befanden sich auf einem Teil der Hügelkette, die früher die Landwehr genannt wurde. Dort unten lag Neunseen. Die Stadt war hell erleuchtet. Die Bäche und Flüsse reflektierten die Lichter. Die Alben kannten die Stadt aus vergangenen Tagen. Man könnte sogar sagen, dass sie ihnen einst ein Zuhause war. Socke kränkte es immer noch, dass er nicht mehr willkommen war. Aber das war