0859 - Die Mutantenspinne
Die Schwertklingen klirrten gegeneinander. Hieb, Abwehr, Gegenschlag, Abwehr - Zamorra wich mit einem Side-step aus, drehte sich, dass der nächste Schwerthieb an ihm vorbeiging, und holte zu einem Schlag über den Kopf seines Gegners aus. Dessen Klinge fuhr unwahrscheinlich schnell hoch und prallte so wuchtig gegen Zamorras Schwert, dass es ihm aus der Hand geschlagen wurde. Es flog in weitem Bogen davon und drehte sich dabei mehrmals. Im nächsten Moment berührte die gegnerische Schwertspitze Zamorras Hals.
Der Meister des Übersinnlichen erstarrte. Er wagte sich nicht mehr zu bewegen; jeden Moment konnte die Klinge tief eindringen.
Mehrere Sekunden verharrten die beiden so. Dann nahm der fast 14jährige Junge sein Schwert zurück und warf es von sich.
»Du hast verloren«, sagte er.
Zamorra nickte.
»Du hast zwei Fehler gemacht«, sagte Rhett Saris. »Entscheidende, tödliche Fehler. Erstens: Du hast nicht aggressiv genug angegriffen, und den einzigen für mich gefährlichen Angriff so saudämlich geführt, dass du mir dein ganzes Schwert als Angriffsfläche für meine Abwehr angeboten hast. Egal, ob ich es in Handnähe, an der Spitze oder wie getan in der Mitte traf - ich konnte es dir spielend aus der Hand schlagen. Du hättest es für diesen Hieb mit beiden Händen führen müssen.«
»Und der zweite Fehler?«
Rhett lächelte. »Du warst bemüht, mich zu schonen. Das brachte dich in Nachteil.« Er legte Zamorra freundschaftlich die Hand auf die Schulter und fügte hinzu: »Ich dachte, ich hätte dir damals mehr beigebracht.«
Zamorra stutzte.
Rhett wandte sich ab, sammelte die beiden Schwerter auf und befestigte sie in den Wandhalterungen des Fitnessraums, in dem sie beide trainiert hatten. Ohne Zamorra anzusehen, sagte Rhett wie beiläufig: »Wann hast du eigentlich zuletzt die Llewellyn-Clansfarben getragen?«
»Wie bitte?«
»Sag nicht, die Motten hätten den Kilt gefressen. Komm, mein Sohn. Lass uns in den Pub gehen und ein kleine Flasche Whisky leer machen. Oder hast du das auch verlernt?«
Zielstrebig ging er zur Tür.
»Bist du wahnsinnig?«, entfuhr es Zamorra. »Whisky? Du bist noch nicht ganz 14 Jahre alt! An Alkohol solltest du noch nicht einmal denken!«
»Vierzehn…« Rhett blieb stehen. Nachdenklich sah er Zamorra an. »Ach, ja… Ich glaube, du hast recht.«
»Eben hast du mich deinen Sohn genannt. Heißt das, dass deine…«
»Habe ich das?«, fragte Rhett verwundert. »Wirklich? Ich kann mich nicht erinnern. Warum sollte ich dich so genannt haben?«
»Vielleicht aus dem gleichen Grund, aus dem du mich nach dem Kilt gefragt hast.«
»Auch daran erinnere ich mich nicht. Ich glaube, ich muss ein wenig darüber nachdenken.« Als Zamorra etwas sagen wollte, hob Rhett abwehrend die Hand. »Ich will jetzt nicht darüber reden. Später vielleicht.« Damit verließ er den Raum und eilte davon.
Wahrscheinlich geht es los , dachte Zamorra. Die Zeit ist reif.
***
Zamorra duschte, legte Freizeitkleidung an und machte es sich in seinem Sessel im Kaminzimmer gemütlich.
Butler William hatte die Holzscheite in Brand gesetzt, und Zamorra nahm einen Schluck des 25 Jahre lang gereiften Bowmore Islay Single Malt aus dem nicht gerade kleinen Whiskyglas. Er genoss das 270 Euro teure Stöffchen, sah in die Flammen, hörte das Knistern und Knacken und ließ seine Gedanken in die Vergangenheit zurückgleiten. 15 oder 20 Jahre? Oder noch mehr? Er konnte es nicht mit Sicherheit sagen.
Es spielte auch keine Rolle.
Er war mit Sir Bryont ap Llewellyn befreundet gewesen. Llewellyn war zwar ein wälischer Clansnamen, wenngleich es dann »map« statt »ap« hätte heißen müssen, aber Sir Bryont war ein waschechter schottischer Lord und somit geborenes Mitglied im Oberhaus der Britischen Regierung. Sein Sohn würde das nicht mehr sein können, weil man vor einigen Jahren die entsprechenden Gesetze geändert hatte und sich das britische Parlament dadurch um ein paar Zentimeter mehr der Demokratie angenähert hatte.
Bryont Saris war 265 Jahre alt geworden. Er war ein Erbfolger wie auch sein Sohn Rhett. Jeder Erbfolger wurde stets exakt ein Jahr älter als sein Vorgänger. Das bedeutete grob geschätzt, dass es den Llewellyn-Clan bereits seit rund 30.000 Jahren gab. Dass das der kaledonischen Geschichtsschreibung widersprach, weil es dieser zufolge damals noch keine Scoten im bergigen Norden der britischen Insel gegeben hatte, hatte noch keinen Llewellyn jemals nennenswert gestört.
Rhett Saris würde
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