Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen
er als Stürmer der deutschen Nationalmannschaft (in seinen Träumereien war er stets Stürmer, nicht Verteidiger) unaufhaltsam über das Grün fegte – ja, fegte!
Es ist ein Finalspiel der Weltmeisterschaft gegen die „Three Lions“. Im ausverkauften Westfalenstadion sind die Augen aller auf Nick Ritter gerichtet. Die Anfeuerungsrufe der Fans werden nur von der sich überschlagenden Stimme eines Sportreporters übertönt: „Und da läuft er! Ritter, Nick Ritter, die Hoffnung der Nation, mit der 13 auf dem Trikot, seiner Glückszahl. Er lässt Rooney mit Leichtigkeit hinter sich. Lampert spielt er ebenfalls aus. Es ist un-glaub-lich, was der entfesselte Ritter mit den Engländern anstellt, un-glaub-lich! Der Abwehrkern von John Terry und Ashley Cole bricht unter der Wucht von Ritters Lauf zusammen, ja, er zersplittert regelrecht. Die deutschen Fans sind außer Rand und Band. Ritter ist jetzt vor dem Tor der Inselkicker. Und er zeigt keine Nerven! Ein kurzer Blick, ein Schuss … der Ball fliegt … fliegt … unhaltbar für David James! Tooor! Tooor! Der Dortmunder Ritter holt in seiner Heimatstadt ein weiteres Mal den WM-Titel für Deutschland!“
Und dann das Blitzlichtgewitter, seine Mitspieler, die ihn auf Schultern tragen, das Wogen der schwarz-rot-goldenen Fahnen die geschwenkt werden, die Sprechchöre der Fans: „Nihick! Nihick! Nihick!“
Der frenetische Jubel verhallte, als Lukas ihn anstieß. „Ey, merkst du noch was?“
Nick blinzelte. „Ach, halt die Klappe, du Lauch“, entgegnete er gutmütig. „Und du auch, Marvin. Ihr habt sie ja nicht mehr alle! Wir pöhlen in derselben Mannschaft. Ich hab’ echt keinen Bock, mir euren Mist reinzuziehen.“
Er stieg auf sein Rad und wartete, bis die zwei ebenfalls auf ihren Rädern saßen. Zu dritt ging es los, und je weiter sie das Schulgebäude hinter sich ließen, desto besser fühlte sich der Sommer an.
Marvin bog nach einigen Metern rechts ab. Er klingelte Sturm. „Bis dann!“, grölte er. „Macht’s gut, Leute!“ Nick und Lukas ließen zum Abschied ebenfalls ihre Klingeln ertönen und johlten: „Bis dann, Alter!“
Nach einigen Minuten kamen sie in ihre verkehrsberuhigte Gegend. Die Straße beschrieb einen weiten Bogen, bevor es bergab ging und die Räder noch mehr an Fahrt aufnahmen.
Luki legte sich rasant in die Kurve zur Zechengasse. Er raste in irrwitzigem Tempo unter den ausladenden, Schatten spendenden Kastanien dahin.
An den Fahnenmasten, die in den meisten Vorgärten standen, wehten die schwarz-gelben BVB-Fahnen der Borussiafans neben deutschen Nationalflaggen und einigen türkischen. Aber das Meer von schwarz-gelben Fahnen überwog bei Weitem! Der Stolz über den Deutschen Meistertitel, den ihre Jungs frühzeitig geholt hatten, war überall in Dortmund spürbar.
Hüseyin Yilmaz, der, sehr zum Verdruss der meisten Anwohner, den letzten bevölkerten Taubenschlag in der Siedlung unterhielt, ließ eben einen Schwarm aufsteigen. Sein Sohn Okan war eine Klasse unter Nick und Lukas. Die zwei Jungen drosselten das Tempo, als sie Yilmaz’ Garten passierten, und grüßten lauthals. Yilmaz winkte.
In gemächlicherer Geschwindigkeit rollten die Jungen mitten auf der Straße weiter, Lukas vorneweg.
„Achtung, Auto!“, rief Nick hinter ihm. Ein nicht unüblicher Warnruf in der ehemaligen Bergmannssiedlung, in der man mitten auf der Straße pöhlte, skatete oder sonst was tat. Luki zog mit seinem Rad rechts rüber, bis der dunkle BMW, aus dem Technomusik hämmerte, vorbeigefahren war und in einem Carport verschwand.
Schließlich bremsten sie vor einem aufwendig restaurierten Steigerhaus, das Nicks Vater, der in einer ähnlichen Siedlung aufgewachsen war, in den neunziger Jahren gekauft hatte.
Lukas Familie wohnte in dem Gebäude nebenan. Es war eines von den roten, modernisierten Backsteinhäusern, das sich hinter den Rhododendren im Vorgarten zu verstecken schien. Die Siedlung war nach und nach umgestaltet und auf den neuesten Wohnstandard gebracht worden. Den alten Baumbestand und die großen Gärten hatten die Planer erhalten, weswegen die Häuser heiß begehrt waren.
Wie meistens blieben die Freunde auf dem Bürgersteig stehen und unterhielten sich noch ein bisschen. Dabei beobachteten sie, wie Herr Guth seinen Cockerspaniel Nero mitten auf dem Bürgersteig einen Haufen machen ließ.
„Schweinehund“, sagte Lukas laut genug, dass Herr Guth es hören musste. Nick kicherte nervös über diese Kaltschnäuzigkeit. Er wusste nicht,
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