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Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde

Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde

Titel: Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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Bewegungen, feste, schrundige Hände, schamlos kräftige Arme und weiße Stirnränder der Männer, die hell leuchteten gegen das rötliche Braun des Gesichts, wenn sie die Arbeitsmütze abgenommen hatten. In der Küchenwärme, unter den klebrigen Fliegenfängern voll schwarzer Fliegenreste, zwischen den Gerüchen nach Mist, Kartoffeldampf und kuhwarmer Milch, ertrug ich den Spruch
Pfarrers Kinder, Müllers Vieh, geraten selten oder nie
leichter als anderswo, weil eine versteckte Anerkennung, ein Augenzwinkern darin lag, das mir sagte: du kannst ja nichts dafür.
    Ein Kinderspiel, von der Welt Besitz zu ergreifen. In jedem Nachbarhaus geduldet, sah ich lauter gute Leute im Dorf, Nachbarn waren fast alle, keine Tür verschlossen. Wo ich entlanglief, mit Freunden oder allein, zwischen Höfen und Türen, über Schotterstraßen oder hinter den Häusern über Lehmwege und Gartenwege, selbst die verbotenen Wiesen und Gärten, alles gehörte zu meiner Mitte, alles gehörte mir, was Schritte und Hände und Blicke erfassten.
    Da durfte ich auf dem Traktor mitfahren, dort war ich aufs Pferd gehoben worden, ich wusste, in welche Ställe ich zu welchen Zeiten gehen durfte, wer mit den Händen molk, wer die aluminiumglänzende Melkmaschine von Miele benutzte, an allen Stalltüren das blaue Schild mit dem hessischen Staatslöwen
Tuberkulosefreier Rinderbestand.
Misthaufen stanken nicht, lästig waren nur Kuhfladen und Jauchepfützen, bequem die Milchkannen als Hocker, Zaunlatten als Turnstangen, das Heu in der Scheune zum Versinken und Verstecken. Kartoffelkäfer und Quecke waren auch meine Feinde, das Verbot, durch Wiesen und Weizenfelder zu trampeln, brauchte mir nicht erklärt zu werden, ich wusste Grummet und Heu am Geruch zu unterscheiden und sah zu, wenn im späteren Sommer die riesige Dreschmaschine bei den Nachbarn in der Scheune stand und sechs, sieben, acht Männer im Lärm der Dieselmotoren, neben ledernen Treibriemen und Rüttelsieben daran arbeiteten, aus Ähren und Garben das Korn in Säcke rieseln und die Halme zu Strohballen pressen zu lassen, ich stand im Staub aus Spreuresten und bekam, wenn die Belohnung fürs Arbeiten und Zuschauen folgte, etwas ab vom Dreschkuchen, riesige Bleche voll Streuselkuchen oder Obstkuchen mit Schmand.
    Bei den Leuten mit Holzschuhen und Küchenschürzen, auf Melkschemeln und bei Schlachtefesten, vor den Gärten und Ställen wurde eine andere, eine einfachere Sprache gesprochen, eine vom Takt der Arbeit bestimmte kernige Mundart, oft genügten drei, vier Silben und eine passende Geste. Man kam, so schien mir, mit der einen Gewissheit aus, dass man
schaffen
musste, wenn man genug zu essen haben wollte, als Bauer oder als Schreiner, Schmied, Schuster, Stellmacher mit ein paar Kühen und Schweinen. Als Lebensmotto genügten die Leitsprüche der Raiffeisenkasse,
Einer für alle – Alle für einen,
und der Feuerwehr,
Gott zur Ehr – dem Nächsten zur Wehr.
Und die älteren Frauen, die mehr Nahrung für die Seele brauchten, fanden jeden Tag in den
Losungen
des Neukirchner Kalenders einen Bibelspruch, den Kalender hatten sie am Küchenschrank befestigt, bei uns hing er im Amtszimmer. Derselbe Spruch, den ich am Morgen in meiner Umgebung der amtlichen Gottessprache gehört hatte, verlor in den Bauernküchen, wenn ich ihn dort im gleichen Kalender entdeckte, etwas von seiner bannenden, gesetzlichen Kraft.
    Als Sohn und Enkel im eigenen Haus musste ich stottern und bangen, als Kind des Dorfes litt ich nicht. Aber beide Verwandtschaften gehörten zusammen, ich brauchte den Wechsel, hier und da, drinnen, draußen, und kopierte bei den Gängen durchs Dorf den Vater, der überall Zugang hatte, fast überall willkommen war, den Leuten zuhörte und ihnen zusprach. In der Bewegung von der Mitte nach draußen und zurück lagen alle Möglichkeiten, lag die Gewissheit, wirklich in der Mitte zu sein, alles gehörte zusammen wie die Balken im Fachwerk der Häuser. Ein Balken stützte den andern, Holz im rechten und spitzen Winkel ineinandergekerbt, das Holz lebt, hieß es, das Holz ließ die Farben abblättern, zwischen den Balken bröckelnder Lehm oder Backsteine, aber das Fachwerk hielt, wurde ausgebessert, schützte die Bewohner, schützte mich.
    Ich bin, wo die Mitte ist, alles bewegt sich auf die Mitte zu. Alle ein bis zwei Wochen wurden die Häuser zu Kulissen, der Arbeitstakt wurde angehalten, und es begann ein schüchternes Theaterspiel, Hochzeit oder Beerdigung. In Zweierreihen bewegten sich

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