Der Spiegel aus Bilbao
ungeladene
Familienmitglieder über das Haus herfielen, was zweifellos in diesem Sommer
mehrfach der Fall sein würde.
Falls es zu unerträglich werden
sollte, konnte Max immer noch zu seinen eigenen Verwandten flüchten. Seine
Eltern wohnten ganz in der Nähe, in Saugus, und eine verheiratete Schwester
lebte das ganze Jahr über drüben auf der anderen Seite von Ireson Town. Sarah
kannte Miriams Ehemann Ira, dem die hiesige Tankstelle gehörte, schon seit
Jahren flüchtig, ebenso ihren Sohn Mike, der dort als Tankwart arbeitete, wenn
er nicht gerade an der Boston University studierte. Vor kurzem hatte sie auch
Miriam kennengelernt. Nach einem etwas förmlichen ersten Besuch, als sie alle
im Wohnzimmer gesessen und höfliche Konversation gemacht hatten und von der
Gastgeberin gedrängt worden waren, ein verblüffendes Sortiment an Horsd’oeuvres
zu verspeisen, hatten sie bei ihrem zweiten Besuch am Küchentisch gesessen und
waren bei Tee und Muffins richtig ins Gespräch gekommen.
Die unkomplizierte
Gastfreundschaft der Rivkins war eine angenehme Abwechslung zu dem starren
Familiensystem, in das Sarah hineingeboren war und dem sie — so sehr sie es
auch versuchte — offenbar nicht entfliehen konnte. Tante Appie hatte ihren
Besuch bereits für den kommenden Montag verbindlich angekündigt. Ihr Sohn Lionel
hatte selbstverständlich angenommen, daß die Einladung auch für ihn und seine
vier Söhne galt. Sie beabsichtigten, draußen irgendwo auf dem Grundstück ihr
Zelt aufzuschlagen. Sarah wären die Goten und Vandalen lieber gewesen, aber ihr
blieb nichts anderes übrig, als sie an die Stelle zu schicken, wo der
Giftsumach am dicksten wucherte, und zu beten, daß möglichst viele Mücken ihren
Weg dorthin finden würden. In ihrem Garten konnten sie sich glücklicherweise
nicht breitmachen. In diesem Jahr hatten sich Sarah und Mr. Lomax nämlich
wirklich richtig in die Arbeit gestürzt. Pete, der Neffe des alten
Hausverwalters, der ihm angeblich zur Hand ging, hatte von irgendeinem Kumpel
eine Bodenfräse geborgt und 200 Quadratmeter Boden aufgerissen. Danach hatten
er und sein Onkel eine Lastwagenladung stinkender Fischköpfe und Gedärme, die
aus den Docks in Gloucester stammten, darin untergegraben.
Die Fischköpfe lockten immer
noch Scharen von Möwen auf das Feld. Mr. Lomax versuchte, Sarah davon zu
überzeugen, daß dies durchaus zu seinem Plan gehörte, da die Seemöwen durch
ihre Exkremente den Boden zusätzlich bereicherten. Trotzdem mußte er die
Kürbisse und Bohnen zweimal neu pflanzen, und den Mais hatten sie inzwischen
sogar völlig aufgegeben.
Erbsen und Frühsalat nutzte Sarah
allerdings bereits für die Verpflegung der Pensionsgäste zu Hause auf Beacon
Hill, und es tröstete sie, daß der ideale Lagerplatz für Lionel und seine
abscheuliche Brut genau in Windrichtung der Fischköpfe lag. Sie teilte diesen
erfreulichen Gedanken gerade Max mit, als Sergeant Jofferty mit seinem
Streifenwagen eintraf.
»Hallo, Mrs. Kelling. Nett, Sie
wieder so froh und munter zu sehen.«
Auch wenn der Sergeant dabei
nicht anzüglich in Max’ Richtung sah, errötete Sarah trotzdem. »Sie sehen auch
gut aus, Sergeant Jofferty. Kennen Sie übrigens Mr. Bittersohn?«
»Ira Rivkins Schwager,
richtig?« Er stieg aus dem Wagen und schüttelte Max die Hand. »Nett, Sie
kennenzulernen. Ira spricht oft von Ihnen. Behauptet immer, Sie seien ein
reicher Verwandter, aber wenn man sich die Benzinpreise heutzutage ansieht, hat
er selbst sicher auch ganz nette Einnahmen, was?«
»Leider muß er alles an die
Ölgesellschaften weiterleiten«, knurrte Max.
»Über Ölgesellschaften wollten
wir eigentlich nicht sprechen«, unterbrach Sarah. »Wir scheinen wieder einmal
ein kleines Geheimnis aufklären zu müssen, Sergeant Jofferty. Als wir vor etwa
15 Minuten eintrafen, fanden wir etwas, das nicht hierher gehört. Max hat
übrigens das Kutscherhaus für den Sommer gemietet«, sah sie sich verpflichtet
zu erklären.
»Meine Tante, die auch gerade
Witwe geworden ist, wird hier bei mir im Haus wohnen, aber das gehört ja
eigentlich nicht zur Sache. Tatsache ist, daß wir die Tür aufgeschlossen haben
und diesen Spiegel an der Wand in der Diele gefunden haben. Max meint, er sei
wertvoll, und ich habe keine Ahnung, wie er ins Haus gekommen ist. Außer Mr.
Lomax und mir hat keiner einen Schlüssel, und Jed Lomax kennen Sie ja selbst.«
Selbstverständlich kannte
Jofferty Jed Lomax. Wie Sarah hielt er es für völlig ausgeschlossen,
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