Der Spieler (German Edition)
Kulaaps Fans über Scheckenfalter und das Versagen der Regierung. In meinem Land gäbe es diese Geschichte gar nicht. Sie wäre sofort von der Zensur gelöscht worden. Hier leuchtet sie mit grünem Licht; wird größer und kleiner, je nachdem, wie viele Leute sie anklicken. Ein einsamer Stern, der zwischen viel größeren Leuchtfeuern funkelt, wie etwa der Meldung von den neuen Intel-Prozessoren, einem Ratgeber mit fettarmen Rezepten, Lolcat-Bildern und neuen Folgen von Survivor! Antarctica. Ein Sturzbach aus Farben und Licht, sehr schön anzuschauen.
Im Zentrum des Mahlstroms leuchtet die grüne Sonne von Double DP – sie wird größer. DP unternimmt etwas. Vielleicht ergibt er sich, vielleicht bringt er seine Geiseln um, vielleicht haben seine Fans sich zu einer lebenden Schutzmauer zusammengefunden. Meine Geschichte erlischt, als die Aufmerksamkeit der Leser sich verlagert.
Ich betrachte den Mahlstrom noch einige Augenblicke, dann gehe ich an meinen Schreibtisch und wähle eine Nummer. Ein zerzauster Mann nimmt ab, reibt sich seine vom Schlaf verquollenen Augen. Ich entschuldige mich für die späte Stunde, und dann bombardiere ich ihn mit Fragen, während ich das Interview aufnehme.
Er sieht ziemlich absonderlich aus, und da ist etwas Wildes in seinen Augen. Sein ganzes Leben hat er gelebt, als wäre er Thoreau, hat intensiv über den Waldmönch nachgedacht und ist dessen Spuren gefolgt, ist auf verschlungenen Pfaden durch die Überreste der Wälder gegangen, durch die Birken und Ahornbäume und Porzellansternchen. Er ist ein Narr, aber es ist ihm ganz ernst.
»Ich kann keine einzige finden«, erzählt er mir. »Thoreau konnte zu dieser Jahreszeit Tausende finden; es gab so viele, er musste gar nicht danach suchen.«
Er fährt fort: »Ich bin so froh, dass Sie angerufen haben. Ich habe es mit Pressemeldungen versucht, aber ...« Er zuckt hilflos mit den Achseln. »Ich bin froh, dass Sie darüber schreiben werden. Sonst reden nur wir Hobbyforscher untereinander darüber.«
Ich lächle und nicke und mache mir meine Notizen über dieses seltsame, verwilderte Wesen, die Art Mensch, die jeder abtun wird. Er taugt nicht für die Kamera; seine Worte bringen nicht wirklich etwas für meinen Text. Er liefert keine Zitate, die das ausdrücken, was er sieht. Alles ist im Jargon der Naturforscher und Biologen formuliert. Mit etwas Zeit könnte ich jemand anderen finden, der besser aussieht und sich gut ausdrücken kann; aber alles, was ich habe, ist dieser eine unrasierte Verrückte mit zerwühltem Haar, der sich zum Narren macht mit seiner Leidenschaft für eine Blume, die nicht länger existiert.
Ich arbeite die Nacht durch, feile an der Geschichte. Als meine Kollegen um acht Uhr früh zur Tür hereinströmen, bin ich beinahe fertig. Noch bevor ich Janice überhaupt etwas davon sagen kann, kommt sie schon zu mir. Sie streicht über meine Kleidung und grinst. »Netter Anzug.« Sie zieht einen Stuhl heran und setzt sich neben mich. »Wir haben dich alle gesehen, zusammen mit Kulaap. Deine Hits sind raufgegangen.« Sie wirft einen Blick auf meinen Bildschirm. »Schreibst du auf, was passiert ist?«
»Nein. Es war eine private Unterhaltung.«
»Aber jeder will wissen, warum du aus dem Wagen ausgestiegen bist. Jemand von der Financial Times hat mich angerufen, die wollen die Hits für eine Enthüllungsstory teilen, wenn du interviewt wirst. Du würdest das Stück noch nicht einmal selbst schreiben müssen.«
Ein verlockender Gedanke. Leichte Hits. Eine hohe Klickrate. Boni aus den Werbeeinnahmen. Trotzdem schüttele ich den Kopf. »Wir haben nicht über Dinge geredet, die für andere von Belang sind.«
Janice starrt mich an, als wäre ich verrückt geworden. »Du bist nicht in der Position zu verhandeln, Ong. Irgendetwas ist da zwischen euch vorgefallen. Etwas, das die Leute erfahren wollen. Und du brauchst die Klicks. Erzähl uns einfach, was bei deiner Verabredung passiert ist.«
»Es war keine Verabredung. Es war ein Interview.«
»Na dann veröffentliche dein verdammtes Interview und bring deinen Schnitt in die Höhe!«
»Nein. Das kann Kulaap ins Netz stellen, wenn sie es möchte. Ich habe etwas anderes.«
Ich zeige Janice meinen Bildschirm. Sie beugt sich vor. Ihr Mund wird beim Lesen zu einer dünnen Linie. Zum ersten Mal wird ihr Zorn kalt. Nicht die laute, wütende Explosion, auf die ich gefasst bin. »Porzellansternchen.« Sie schaut mich an. »Du brauchst Hits und gibst ihnen Blumen und Walden
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