Der Spieler (German Edition)
auf einem uralten Filmplakat gesehen hatte, wie Shriram sie im Tresor in seinem Aufziehladen aufbewahrte, wo ihnen Licht und Luft nichts anhaben konnten.
Lange Jahre dachte er, er würde zurückkehren und nach ihr suchen. Ihr zu essen geben. Geld und Nahrungsmittel in seine verwüstete Heimat schicken, eine Heimat, die nur noch in seinem Kopf existierte, in seinen Träumen und in halbwachen Wahnbildern von Wüsten, roten und schwarzen Saris, von gebückten Frauen und ihren schwarzen Händen und silbernen Armreifen – und von ihrem Hunger, immer wieder von ihrem Hunger.
Er hatte sich wilden Phantasien hingegeben, dass es ihm gelingen würde, Gita über das glänzende Meer zu schmuggeln, in die Nähe der Buchhalter, die die Kalorienverbrennungsquoten für die ganze Welt kalkulierten. In die Nähe der Kalorien, wie sie einmal vor langer Zeit gesagt hatte. In die Nähe der Menschen, die Preisstabilität gegen Fehlertoleranz abwogen und die Energiemärkte davor bewahrten, mit Nahrungsmitteln überschwemmt zu werden. In die Nähe der kleinen Gottheiten, die über mehr Macht verfügten als Kali, um die Welt zu vernichten.
Aber inzwischen war sie längst tot – entweder verhungert oder einer Krankheit erlegen, dessen war er sich sicher.
War Shriram nicht deshalb zu ihm gekommen? Shriram, der mehr über seine Vergangenheit wusste als irgendwer sonst. Shriram, der ihn ausfindig gemacht hatte, als er in New Orleans eingetroffen war, und in ihm einen Landsmann erkannt hatte: nicht einfach nur einen weiteren Inder, der seit Langem in Amerika lebte, sondern jemanden, der noch die Dialekte der verlassenen Dörfer sprach und der sich noch an ihre Heimat erinnerte, wie sie gewesen war, bevor Rüsselkäfer, Kräuselkrankheit und Wurzelwelke sie heimgesucht hatten. Shriram, der neben ihm auf dem Boden geschlafen hatte, als sie beide in den Aufziehbaracken gearbeitet hatten, mit nichts anderem als Kalorien bezahlt und auch noch dankbar dafür, als wären sie selbst nur Genfledderer.
Natürlich hatte Shriram gewusst, was er sagen musste, damit Lalji sich auf den Weg den Fluss hinauf machte. Shriram hatte gewusst, wie sehr er sich danach sehnte, seine Schuld zu begleichen.
Sie folgten Bowman über leere Straßen und schmale Gassen, durch jämmerliche Ruinen aus von Termiten befallenem Holz, zerbröckelnden Betonfundamenten und verrostetem Betonstahl, alles zu wertlos, um etwas davon mitzunehmen, und zu stur, um zu verfallen. Schließlich schob sich der Alte zwischen den verrosteten Karosserien zweier Automobile hindurch. Auf der anderen Seite angekommen, stockte Lalji und Creo der Atem.
Über ihren Köpfen wiegten sich Sonnenblumen. Ein Dschungel aus riesigen Kürbisblättern schmiegte sich an ihre Knie. Trockene Getreidehalme rauschten im Wind. Bowman musterte ihre überraschten Gesichter und lächelte, erst zögerlich, dann jedoch mit ungezügelter Freude. Schließlich lachte er und winkte sie weiter, stolperte durch einen Garten, in dem Blumen, Unkraut und Gemüse wuchsen, blieb mit seinem zerschlissenen Hanfkittel an alten Krautstängeln und Melonenranken hängen. Creo und Lalji suchten sich einen Weg durch das Dickicht, machten einen Bogen um ein Auberginenbeet, um rote Tomaten und orangefarbene Zierchilis. Bienen summten schwer zwischen den Sonnenblumen umher, ihre Satteltaschen voller Pollen.
Lalji blieb stehen und rief Bowman nach. »Diese Pflanzen. Die sind nicht genmanipuliert, oder?«
Bowman wandte sich um und stapfte zu ihnen zurück, wobei er sich Schweiß und Pflanzenfasern aus dem Gesicht wischte. Er grinste breit. »Nun ja, das ist eine Frage der Definition. Aber nein, nichts davon gehört den Kalorienkonzernen. Manche sind sogar alte Kulturpflanzensorten.« Er grinste erneut. »Fast jedenfalls.«
»Wie kommt es, dass sie überlebt haben?«
»Ach so, ja.« Er bückte sich und pflückte eine Tomate. »Genmanipulierte japanische Rüsselkäfer, die Rostwelke 111.b oder vielleicht Cibiskosebakterien – etwas in der Art?« Er biss in die Tomate, und der Saft lief ihm in die Bartstoppeln. »Im Umkreis von hundert Kilometern gibt es keine vergleichbare Anpflanzung. Das hier ist eine Insel in einem Meer aus SoyPRO und HiGro. Eine bessere Barriere kann man sich nicht wünschen.« Nachdenklich ließ er den Blick über den Garten schweifen und biss noch einmal in die Tomate. »Nachdem Sie jetzt hierhergekommen sind, werden allerdings nur wenige dieser Pflanzen überleben.« Er nickte in Richtung seiner beiden
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