Der Spieler (German Edition)
rückte er die Brille zurecht und wandte sich wieder dem Würfel zu.
Dann sah er sich suchend nach dem Mann mit den weißen Handschuhen um, aber da war niemand. Wang Jun drehte den Würfel weiter in der Hand. Fragte sich, was wohl darauf gespeichert sein mochte, dass ein Ausländer dafür sein Leben hatte lassen müssen.
Der Mann mit den weißen Handschuhen kam nicht.
Wang Jun hustete und spuckte noch einmal aus. Wenn er zehn große Styroporstücke gezählt hatte, und der Mann dann immer noch nicht da war, würde er den Würfel behalten und verkaufen.
Zwanzig Styroporstücke später begann es zu dämmern, aber von dem Mann mit den weißen Handschuhen war immer noch nichts zu sehen. Wang Jun starrte den Würfel an. Fragte sich, ob er ihn ins Wasser werfen sollte. Doch stattdessen wartete er, während die Nongmin nach und nach ihre vollgeladenen Handkarren über die Brücke zogen. Von den feuchten, fruchtbaren Feldern in der Ferne kamen sie in die Stadt, trugen Gemüse auf dem Rücken und hatten noch Schlamm zwischen den Zehen. Der Tag brach an. Huojianzhu zeichnete sich groß und lebendig vor dem heller werdenden Himmel ab. Erneut hustete Wang Jun und spuckte aus, dann sprang er vom Brückengeländer. Ließ den Datenwürfel in eine seiner zerschlissenen Taschen gleiten. Der Tibeter würde ihn sowieso niemals wiederfinden.
Sonnenlicht sickerte durch den Dunstschleier der Stadt. Chengdu nahm die Hitze in sich auf. Die Luft war feucht – eine letzte Hitzewelle, bevor der Winter hereinbrach, ein verrückter Wetterumschwung. Wang Jun schwitzte. Er hatte Dreifinger-Gao in einer Spielhalle aufgespürt. Gao hatte nicht nur drei Finger. Er hatte zehn, und er benutzte sie alle, um einen dreidimensionalen Soldaten zu steuern, der sich durch die Gebirgszüge Tibets kämpfte und eine Rebellion niederschlug. Bei den Triaden von Chengdu war er dafür bekannt, dass er den CEO von TexTel dazu gebracht hatte, ihm monatlich zehntausend Yuan Schutzgeld zu zahlen, bis er wieder nach Singapur zurückversetzt wurde. Mit drei Fingern.
Wang Jun zupfte an Dreifingers Lederjacke. Aufgrund der Ablenkung starb Gaos Soldat, dem sofort, als er weggeschaut hatte, Stöcke schwingende Mönche zu Leibe gerückt waren.
Wütend sah er Wang Jun an. »Was ist?«
»Ich habe etwas zu verkaufen.«
»Ich will keine von diesen Platinen, die du mir immer andrehen willst. Ich hab dir doch gesagt, dass sie ohne das Herz nicht zu gebrauchen sind.«
»Ich habe etwas anderes«, sagte Wang Jun.
»Was?«
Als er ihm die Brille hinhielt, weiteten sich Dreifingers Pupillen. Aber er tat so, als wäre sie ihm gleichgültig. »Wo hast du die her?«
»Gefunden.«
»Lass mich mal sehen.«
Zögernd reichte Wang Jun Dreifinger die Brille. Dreifinger setzte sie auf, nahm sie aber gleich wieder ab und warf sie Wang Jun hin. »Ich geb dir zwanzig dafür.« Dann wandte er sich um und begann ein neues Spiel.
»Ich will einhundert.«
» Mei me’er .« Jetzt sprach er im Beijing-Slang. Auf keinen Fall. Fing an zu spielen. Sein Soldat kauerte geduckt auf einer Hochebene; vor ihm erhoben sich schneebedeckte Gipfel. Stürzte los, rannte durch niedriges Gras bis zu einer Hütte, die aus den Häuten toter chinesischer Soldaten bestand. Wang Jun beobachtete ihn und sagte: »Geh nicht in die Hütte.«
»Ich weiß.«
»Fünfzig würde ich nehmen.«
Dreifinger schnaufte verächtlich. Sein Soldat entdeckte einige Reiter, die sich ihm näherten, also ging er hinter der Hütte in Deckung. »Ich werde dir zwanzig geben.«
»Vielleicht zahlt BeanBean mir mehr«, sagte Wang Jun.
»Ich werde dir dreißig geben – kannst ja versuchen, ob du bei BeanBean mehr bekommst.« Sein Soldat wartete ab, bis sich die Reiter zusammengeschart hatten. Dann schoss er eine Rakete mitten in sie hinein. Als sie explodierte, durchlief ein Grollen den Spielautomat.
»Hast du die dreißig jetzt gleich?«
Dreifinger wandte sich von dem Spiel ab, und prompt wurde seinem Soldaten von genetisch hochgezüchteten Sherpas der Garaus gemacht. Ohne die Schreie des Soldaten weiter zu beachten, zahlte Dreifinger Wang Jun das Geld. Anschließend überließ Wang Jun Dreifinger wieder seinen Spielen und feierte den Verkauf, indem er sich eine freie Stelle unter der Brücke nahe dem Bing Jiang suchte. Dort legte er sich in der glühendheißen Nachmittagssonne zu einem Nickerchen hin.
Als er gegen Abend erwachte, hatte er Hunger. Die Münzen wogen schwer in seiner Tasche, also dachte er über die vielen
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