Feuer und Wasser (Urteil: Leben!) (German Edition)
Neue Seiten
Montag, 15. März
» D ie Quartalszahlen sanken im Vergleich zum Vorjahr um einen halben Prozentpunkt. Nichts Dramatisches ...«
Andrew schaut abrupt auf und sieht mit Genugtuung, wie Smith zusammenfährt. Wenn auch nur gedanklich, lassen die plötzlich in akuter Geschwindigkeit auf dessen Stirn ausbrechenden Schweißperlen keine Zweifel offen.
Niemandem am Konferenztisch ist die Unterbrechung aufgefallen. Es läuft, wie er es gewohnt ist: schnell, effizient, kaum merklich.
»... aber selbstverständlich inakzeptabel ...« Smith wagt einen vorsichtigen Blick in seine Richtung, und der junge Mann senkt knapp den Kopf. Das Zeichen für den Versager, das Ruder gerade noch einmal herumgerissen zu haben.
Dann und wann ist es erforderlich, Andrews Vorstandsmitglieder daran zu erinnern, dass dieser Konzern unter seiner Führung steht. Er allein urteilt darüber, ob ein Verlust als dramatisch zu bewerten ist oder nicht. Dabei geht es ihm nicht unbedingt um das halbe Prozent, das sie an Gewinn einbüßen mussten, obwohl diese Nachricht bei den Aktionären mit Sicherheit nicht auf Gegenliebe stoßen wird. Nein, es ist die Anmaßung eines Urteils, die Andrew unangenehm aufstößt. Smith weiß, dass sein Posten ebenso unsicher ist, wie der aller übrigen Belegschaftsmitglieder, denn Mr. Norton schließt keine Freundschaften. Das hat er nie, und er wird gewiss nicht in seinem Unternehmen mit derlei Absonderlichkeiten beginnen. Zumal ihm dieser Kerl absolut unsympathisch ist, wie nahezu jeder Bewohner dieses Planeten.
So soll es sein.
»... vermute ich, Einsparungen bei den internen, weniger erfolgsrelevanten Kostenfaktoren wären angezeigt. Mein Augenmerk liegt auf ...«
Erneut hebt der junge Chef den Blick, und diesmal hält der Redner merklich inne.
Beinahe noch verhasster als Insubordination ist Andrew Zeitverschwendung. Mutmaßungen bedeuten pure Verschwendung, und zwar seiner Zeit. Er war innerhalb der letzten Jahre nicht derart erfolgreich, weil er andere damit hausieren lässt. Dieses Meeting ist laut Terminplan bereits seit einer halben Minute beendet. Womit Andrews Anwesenheit nicht mehr vertretbar und Smiths Geschwafel nicht nur ärgerlich, sondern destruktiv ist .
»Ich denke, alle anstehenden Themen wurden abgehandelt.« Wie üblich spricht er äußerst gedämpft. Das fördert die Konzentration seiner Zuhörer und sichert ihm deren ungeteilte Aufmerksamkeit. »Irgendwelche Fragen?«
Ein rein rhetorischer Satz. Niemand ist dumm genug, ihn als Aufforderung zu werten. Nach fünf Sekunden nickt er knapp in die Runde und begibt sich zur Tür. »Mr. Norton?«
Eilfertig hastet Smith zu ihm, Andrew setzt seinen Weg jedoch unbeirrt fort. »Smith.« Er ist kein Mann vieler Worte, denn die entsprächen gleichfalls einer Verschwendung von Zeit und Energie.
Schweigen ist Gold.
»Eine kurze Anmerkung zu meinem Memo.« Man könnte die beiden Herren für gute Bekannte halten. Obwohl der Ältere von ihnen soeben um seinen Jahresbonus kämpft – welchen sein Boss ihm bereits vor zwei Minuten gestrichen hat –, wenn nicht sogar sein Job in akuter Gefahr ist – den der Konzernchef gnädigerweise noch einmal unangetastet lassen wird. Smith versieht seine Aufgaben bestimmt nicht schlechter als die anderen Versager, die seinem engsten Stab angehören. Wenngleich dessen sonstige Praktiken bei ihm keineswegs auf Gegenliebe stoßen. Doch selbst Andrew Norton ist unter Umständen großzügig. Vorausgesetzt, es verursacht keinerlei Kosten und er kann in der Zukunft einen Gewinn für sich kalkulieren.
»Ich denke, für die notwendigen Einsparmaßnahmen könnte ich Ihnen bis morgen eine weitere Expertise vorlegen ...« Sie haben den Aufzug erreicht. Als die silbernen Türen aufgleiten, nickt der junge Mann knapp. »Um acht auf meinem Schreibtisch.«
»Kein Problem, Sir.«
Das lässt Norton unkommentiert, er wendet allerdings den Blick nicht ab. Und so sieht er unverhohlenen Hass, als Smiths Fassade etwas zu früh fällt. Denn erst eine Sekunde später schließen sich die Türen.
Ja, der Versager hasst ihn. Wie jeder andere seiner Angestellten, davon ist Andrew sogar überzeugt. Und auch das ist kein Zufall.
Beliebte Firmeninhaber – Vorstandsvorsitzender in seinem Fall, seit drei Jahren sind sie an der New Yorker Börse notiert – garantieren gewiss ein angenehmes Betriebsklima, jedoch weder Leistung noch Gewinn. Für eine anheimelnde Atmosphäre sorgt er mit überdurchschnittlicher Bezahlung. Indem er hart,
Weitere Kostenlose Bücher