Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Spieler

Der Spieler

Titel: Der Spieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
manchmal zu guter Letzt als etwas Schicksalhaftes, Unausweichliches, Vorbestimmtes, als etwas, das nicht mehr wegzudenken ist und unbedingt geschehen muß! Vielleicht handelt es sich dabei um noch etwas anderes, eine Art Kombination von Ahnungen! Um eine außerordentliche Willensanspannung, eine Autointoxikation durch die eigene Phantasie oder um noch anderes – ich weiß es nicht; aber mir geschah an diesem Abend (den ich bis an mein Lebensende nicht vergessen werde) ein Wunder. Wiewohl es vollständig durch Arithmetik erklärt werden könnte, ist es für mich bis auf den heutigen Tag ein Wunder geblieben. Und warum, warum hatte diese Sicherheit damals so tiefe, so feste Wurzeln in mir geschlagen, damals, schon vor so langer Zeit? Wahrscheinlich hatte ich es – ich wiederhole – schon damals keineswegs als beiläufigen Vorfall erlebt, einen unter anderen (folglich auswechselbaren, der ebensogut auch nicht hätte eintreten können), sondern als ein Faktum, dessen Ausbleiben absolut ausgeschlossen war!
    Es war Viertel nach zehn; ich betrat den Spielsaal so hoffnungsvoll und gleichzeitig in einer solchen Erregung, wie ich sie noch nie erlebt hatte. In den Spielsälen bewegte sich noch ziemlich viel Publikum, wenn auch nur halb soviel wie am Vormittag.
    Nach zehn Uhr bleiben an den Spieltischen nur die echten, eingeschworenen Spieler, diejenigen, für die in den Bädern nichts existiert außer Roulette, die einzig seinetwillen angereist sind, die kaum darauf achten, was um sie her geschieht, und sich während der ganzen Saison für nichts Weiteres interessieren, als nur vom Vormittag bis in die Nacht hinein zu spielen, sogar die ganze Nacht hindurch bis zum Morgengrauen, wenn es erlaubt wäre. In der Regel ziehen sie unwillig von dannen, wenn das Roulette um Mitternacht geschlossen wird. Und wenn der älteste Croupier, kurz vor Schluß, gegen Mitternacht verkündet: » Les trois derniers coups, messieurs! «, sind sie gelegentlich bereit, bei diesen letzten drei Coups das letzte zu setzen, was sie in den Taschen haben – und verlieren gerade dann am häufigsten. Ich begab mich zu demselben Tisch, an dem kürzlich Babuschka gesessen hatte. Es war kein großes Gedränge, so daß ich sehr bald an dem Tisch einen Stehplatz bekam. Unmittelbar vor mir, auf dem grünen Tuch, stand ein Wort: »Passe«. »Passe« – das ist die Zahlenreihe von neunzehn bis sechsunddreißig einschließlich. Die erste Reihe, von eins bis achtzehn einschließlich, heißt »Manque«: Aber was ging mich das an? Ich überlegte nicht und habe nicht einmal gehört, welche Zahl vorher gekommen war, erkundigte mich nicht einmal danach, bevor ich zu spielen begann, was jeder einigermaßen erfahrene Spieler tut. Ich zog meine zwanzig Friedrichsdor aus der Tasche und warf sie auf das vor mir stehende »Passe«.
    » Vingt-deux !« rief der Croupier.
    Ich hatte gewonnen – und setzte wieder, alles: den früheren Einsatz und den Gewinn.
    » Trente et un !« rief der Croupier. Wieder gewonnen! Alles in allem besaß ich also achtzig Friedrichsdor! Ich schob diese achtzig auf die zwölf mittleren Zahlen (dreifacher Gewinn, allerdings zwei Chancen, zu verlieren) – das Rad drehte sich, es kam vierundzwanzig. Man reichte mir drei Rollen zu fünfzig Friedrichsdor und zehn Goldmünzen; zusammen mit dem früheren Gewinn verfügte ich jetzt über zweihundert Friedrichsdor.
    Ich war wie in Trance, schob diesen ganzen Haufen Geld auf Rot – und kam plötzlich zu mir! Nur ein einziges Mal an diesem ganzen Abend, solange ich spielte, hauchte mich die Angst eiskalt an und ließ meine Arme und Beine zittern. Entsetzt fühlte ich, und es wurde mir blitzartig bewußt: Was würde es bedeuten, jetzt zu verlieren! Mein ganzes Leben stand auf dem Spiel!
    »Rouge!« rief der Croupier, und ich holte Atem; mein ganzer Körper glühte wie im Fieber. Man zahlte mich in Banknoten aus; alles zusammen viertausend Florin und achtzig Friedrichsdor! (Ich war damals noch imstande zu zählen.)
    Darauf setzte ich, soweit ich mich erinnere, zweitausend Florin abermals auf die zwölf mittleren Zahlen und verlor; ich setzte meine Goldmünzen und achtzig Friedrichsdor und verlor. Eine maßlose Wut bemächtigte sich meiner: Ich packte meine letzten gebliebenen Florin und setzte auf die zwölf ersten – einfach so, blindlings, ohne zu überlegen! Es gab, übrigens, den Augenblick einer Erwartung, eines Eindrucks, der möglicherweise dem Eindruck der Mme Blanchard ähnlich war, als

Weitere Kostenlose Bücher