Der Spieler
retournieren, um Ihnen damit die Möglichkeit zu geben, alles zurückzugewinnen, was Sie eingebüßt haben, so daß Sie Ihre Ansprüche an Ihren Stiefvater auf gerichtlichem Wege geltend machen können. Ich hoffe, Mademoiselle, daß angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse mein Verhalten für Sie äußerst vorteilhaft sein wird. Ferner hoffe ich, mit meinem Verhalten die Pflichten eines ehrenhaften und edel gesinnten Mannes in Gänze erfüllt zu haben. Seien Sie versichert, daß ich die Erinnerung an Sie ewig in meinem Herzen tragen werde.
»Na ja, klar«, sagte ich, mich an Polina wendend. »Sie werden doch nicht etwas anderes erwartet haben?« fügte ich empört hinzu.
»Gar nichts habe ich erwartet«, antwortete sie scheinbar gelassen, aber ihre Stimme hatte einen irgendwie zitternden Klang. »Für mich stand schon seit langem alles fest; ich habe in seinen Gedanken gelesen und wußte, was er denkt. Er dachte, ich suchte … ich würde darauf bestehen, daß …« (Sie stockte, biß sich auf die Lippe und verstummte.) »Ich habe ihn absichtlich doppelt verächtlich behandelt«, fuhr sie fort, »und gewartet, wie er wohl darauf reagiert. Wenn das Telegramm von der Erbschaft gekommen wäre, hätte ich ihm die Schulden dieses Idioten, meines Stiefvaters, an den Kopf geworfen und ihn davongejagt. Er war mir schon lange, schon lange verhaßt. Oh, früher war er ein ganz anderer Mensch, tausendmal anders, aber jetzt, jetzt! … Oh, mit welcher Wonne hätte ich ihm jetzt diese fünfzigtausend in sein gemeines Gesicht geschmissen, einen Fußtritt gegeben und gespuckt! …«
»Aber der Schein – dieser von ihm retournierte Schuldschein auf fünfzigtausend, den hat doch immer noch der General? Holen Sie ihn doch, und geben Sie ihn des Grieux zurück.«
»O nein, das ist es nicht! Das ist es nicht!«
»Ja, ja, richtig, richtig, das ist es nicht! Und wozu ist der General jetzt überhaupt noch fähig? Und Babuschka?« rief ich plötzlich.
Polina warf mir einen zerstreuten und ungeduldigen Blick zu.
»Aber was heißt ›Babuschka‹?« sagte Polina ärgerlich. »Sie kann ich nicht ansprechen … und auch keinen anderen Menschen um Vergebung bitten«, fügte sie gereizt hinzu.
»Aber was denn dann!« rief ich. »Wie konnten Sie, wie konnten Sie diesen des Grieux lieben? Oh, dieser Schuft, dieser Schuft! Sie brauchen es nur zu sagen, und ich werde ihn im Duell niederknallen! Wo steckt er jetzt?«
»Er ist in Frankfurt und wird dort drei Tage bleiben.«
»Sie brauchen nur ein Wort zu sagen, und ich fahre, morgen, schon morgen, mit dem ersten Zug!« sagte ich im törichten Enthusiasmus.
Sie lachte.
»Na und? Er könnte unter Umständen sagen: ›Zuerst müssen Sie mir fünfzigtausend auf den Tisch blättern.‹ Und wofür sollte er sich eigentlich schlagen? … Was für ein Unsinn!«
»Aber woher, woher soll man diese fünfzigtausend Francs nehmen«, wiederholte ich zähneknirschend, als hielte ich es tatsächlich für möglich, sie plötzlich vom Boden aufzulesen. »Hören Sie: Mister Astley?« wandte ich mich an sie, mit einer aufblitzenden eigentümlichen Idee.
Auf einmal funkelten ihre Augen.
»Wie, willst
du es denn selbst,
daß ich von dir zu diesem Engländer gehe?« sagte sie, sah mit einem durchdringenden Blick in mein Gesicht und lächelte bitter. Zum ersten Mal, seit wir uns kannten, hatte sie mich mit
du
angesprochen.
Wahrscheinlich wurde ihr in dieser Minute schwindlig, und sie ließ sich plötzlich auf das Sofa nieder, wie vor Erschöpfung.
Ein Blitz schien mich zu versengen; ich stand da und traute meinen Augen, traute meinen Ohren nicht! Also, dann liebte sie mich doch! Sie kam zu
mir
und nicht zu Mister Astley! Sie, mutterseelenallein, ein junges Mädchen, kam auf mein Zimmer, in einem Hotel, kompromittiert vor aller Welt – und ich, ich stehe vor ihr und begreife immer noch nichts!
Ein verrückter Gedanke fuhr mir durch den Kopf.
»Polina! Gib mir nur eine Stunde Zeit! Warte hier nur eine Stunde und … ich bin gleich wieder da! Es ist … es ist unumgänglich! Du wirst schon sehen! Bleib hier, bleib hier!«
Und ich stürzte aus dem Zimmer, ohne auf ihren verblüfften, fragenden Blick zu antworten; sie rief etwas hinter mir her, aber ich kehrte nicht um.
Ja, bisweilen setzt sich der verrückteste Gedanke in unserem Kopfe so fest, daß man ihn schließlich für ausführbar hält … Mehr noch: Wenn eine Idee sich mit einem starken leidenschaftlichen Willen verbindet, gilt sie
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