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Der Spieler

Der Spieler

Titel: Der Spieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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war mir unmöglich, in meinem Zimmer zu bleiben. Ich trat immer wieder in den Korridor hinaus und machte sogar ein paar Schritte in der Allee. Mein Brief an sie war unmißverständlich und entschieden, und die heutige Katastrophe – bestimmt endgültig. Im Hotel hörte ich, daß des Grieux abgereist war. Und überhaupt, auch wenn ich ihr nicht als Freund genügte, könnte ich ihr durchaus als Lakai genügen. Ich habe mich doch als Laufbursche bewährt; vielleicht bewähre ich mich auch weiterhin, warum denn nicht!
    Zur Abfahrt des Zuges war ich auf dem Bahnsteig und half Babuschka beim Einsteigen. Sie stiegen alle zusammen in einen speziellen Familienwaggon. »Hab Dank, mein Lieber, für deine uneigennützige Teilnahme«, sagte sie mir zum Abschied, »und richte Praskowja aus, daß meine Worte von gestern gelten – ich erwarte sie.«
    Ich ging nach Hause. Als ich an dem Appartement des Generals vorbeiging und die Kinderfrau mir entgegenkam, erkundigte ich mich nach dem General. »Ach, es geht«, antwortete sie melancholisch. Ich wollte trotzdem nach ihm sehen, aber vor der Tür des Kabinetts blieb ich stehen, starr vor Staunen. Mademoiselle Blanche und der General lachten um die Wette. La veuve de Cominges saß ebenfalls auf dem Diwan. Der General war offensichtlich vor Freude außer sich, redete wirr durcheinander und brach immer wieder in ein nervöses anhaltendes Gelächter aus, wobei sein Gesicht sich mit unzähligen feinen Runzeln bedeckte und die Augen irgendwie völlig verschwanden. Später habe ich von Blanche persönlich gehört, daß sie, nachdem sie den Miniaturfürsten vor die Tür gesetzt und von der tränenreichen Verzweiflung des Generals gehört hatte, die Laune ankam, ihn zu trösten und ein Weilchen bei ihm zu bleiben. Aber der bedauernswerte General ahnte natürlich nicht, daß in diesem Augenblick sein Schicksal entschieden und Blanche bereits mit dem Einpacken beschäftigt war, um schon morgen, mit dem ersten Zug, nach Paris zu eilen.
    Ich hielt auf der Schwelle des Kabinetts inne, zog es schließlich vor, nicht einzutreten und mich unbemerkt zu entfernen. Als ich oben angelangt war und die Tür zu meinem Zimmer öffnete, erblickte ich im Halbdunkel plötzlich eine Gestalt, die in der Ecke vor dem Fenster auf einem Stuhl saß. Sie rührte sich nicht bei meinem Erscheinen. Ich ging rasch auf sie zu, sah – und mein Atem stockte: Es war Polina!

Kapitel XIV
    Ich schrie förmlich auf.
    »Was ist? Was ist?« fragte sie eigentümlich. Sie war blaß, ihr Blick war düster.
    »Was heißt: ›Was ist?‹ Sie? Hier, bei mir!«
    »Wenn ich komme, dann komme ich auch
ganz
. Das ist so meine Art. Sie werden es gleich sehen; zünden Sie eine Kerze an.«
    Ich zündete die Kerze an. Sie erhob sich, trat an den Tisch und legte einen entsiegelten Brief vor mich hin.
    »Lesen Sie«, befahl sie.
    »Das ist – das ist die Handschrift von des Grieux!« rief ich, als ich den Brief aufnahm. Meine Hände zitterten, die Zeilen hüpften vor meinen Augen. Den genauen Wortlaut des Briefes habe ich vergessen, aber hier ist er – wenn nicht wortwörtlich, so doch wenigstens dem Sinn nach genau.
    Mademoiselle – schrieb des Grieux –, widrige Umstände zwingen mich zur unverzüglichen Abreise. Sie werden natürlich gemerkt haben, daß ich mit Bedacht einer endgültigen Aussprache mit Ihnen aus dem Weg gegangen bin, bis alle Umstände geklärt wären. Die Ankunft Ihrer betagten ( de la vieille dame ) Verwandten und ihr absurdes Verhalten haben allen meinen Bedenken ein Ende gesetzt. Meine eigenen zerrütteten Verhältnisse verbieten mir unwiderruflich, mich künftig in den süßesten Hoffnungen zu wiegen, wie ich es mir eine Zeitlang gestattet hatte. Ich bedauere das Geschehene, gebe mich aber der Hoffnung hin, daß Sie in meinem Verhalten nichts werden entdecken können, was eines Ehrenmannes ( gentilhomme et honnête homme ) unwürdig wäre. Nachdem ich Ihrem Stiefvater fast mein gesamtes Vermögen geborgt und somit verloren habe, sehe ich mich vor die dringendste Notwendigkeit gestellt, das wenige zu retten, was mir blieb: Ich habe meine Freunde in Petersburg bereits damit beauftragt, unverzüglich zu der Veräußerung der mir verpfändeten Besitztümer zu schreiten; jedoch wohl davon unterrichtet, daß Ihr leichtsinniger Stiefvater auch Ihr persönliches Vermögen vergeudet hat, entschloß ich mich, ihm die Summe von fünfzigtausend Francs zu erlassen und sie ihm in Form von entsprechenden Schuldscheinen zu

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