Der Spieler
richtete ich mich. Die Besucher des Saals versammelten sich um mich. Ich weiß nicht mehr, ob ich während dieser Zeit auch nur ein einziges Mal an Polina gedacht habe. Ich empfand damals eine unstillbare Lust beim Packen und Bündeln der Banknoten, die sich immer höher vor mir aufhäuften.
In der Tat, es schien eine Fügung des Schicksals. Dieses Mal, ausgerechnet dieses Mal, wiederholte sich ein Umstand, der beim Spiel übrigens gar nicht einmal selten ist. Das Glück, zum Beispiel, kann sich an das Rot heften und ihm zehn-, ja sogar fünfzehn Mal die Treue halten. Ich habe erst vorgestern gehört, daß das Rot in der letzten Woche zweiundzwanzig Mal hintereinander gekommen ist, an einen solchen Fall konnte man sich beim Roulette nicht einmal erinnern und erzählte voller Staunen davon. Selbstverständlich verzichtet man sofort auf Rot, schon nach dem zehnten Mal traut sich keiner mehr, darauf zu setzen. Aber auch auf Schwarz, das Gegenteil von Rot, traut sich von den erfahrenen Spielern keiner, auch nur einmal zu setzen. Der erfahrene Spieler weiß, was eine solche »Hartnäckigkeit des Schicksals« bedeutet. Man kann, wie es scheint, nach sechzehn Mal Rot annehmen, das siebzehnte Mal müsse unbedingt Schwarz bringen. Neulinge fallen darauf scharenweise herein. Sie verdoppeln und verdreifachen die Einsätze auf Schwarz und verlieren fürchterlich.
Ich aber, aus irgendeiner sonderbaren Hartnäckigkeit, hatte mich, sobald ich merkte, daß Rot sieben Mal nacheinander gekommen war, absichtlich darauf kapriziert. Ich bin überzeugt, daß es halb aus Ehrgeiz geschah; es ging mir darum, die Zuschauer durch rasenden Wagemut zum Staunen zu bringen – oh, diese eigentümliche Empfindung –, und ich weiß es noch ganz deutlich, daß mich plötzlich tatsächlich, ohne den herausfordernden Ehrgeiz, ein unstillbarer Durst nach einem Risiko gepackt hatte. Vielleicht war dieser Durst, nachdem die Seele so viele Empfindungen ausgekostet hatte, nicht gestillt, sondern nur gereizt und verlangte weitere Empfindungen, immer heftigere und heftigere, bis zur vollständigen Erschöpfung. Und wirklich, ich übertreibe nicht, wenn die Spielregel es erlaubt hätte, fünfzehntausend Florin auf einmal zu setzen – ich hätte sie gesetzt. Ringsum erregtes Rufen, es sei Wahnsinn, Rot sei bereits dreizehn Mal gewesen!
» Monsieur a gagné déjà cent mille florins «, hörte ich eine Stimme in meiner Nähe.
Plötzlich kam ich zu mir. Wie? Ich hatte an diesem Abend hunderttausend Florin gewonnen! Brauchte ich denn etwa mehr? Ich raffte die Banknoten zusammen, zerknüllte sie, füllte damit, ohne zu zählen, die Taschen, schob mein ganzes Gold zusammen, sämtliche Rollen, verstaute es und rannte aus dem Casino. Man lachte, als ich durch die Säle ging, über meine abstehenden Taschen und meinen unter der Goldlast schwankenden Gang. Ich glaube, sie wog wesentlich mehr als ein halbes Pud . Einige Hände streckten sich mir entgegen; ich gab jeweils so viel, wie die Hand in der Tasche faßte. Zwei Juden sprachen mich beim Ausgang an.
»Sie sind mutig! Sie sind sehr mutig!« sagten sie zu mir. »Aber reisen Sie morgen früh ab, so früh als möglich, sonst werden Sie alles, alles verspielen …«
Ich beachtete sie nicht. Die Allee war so dunkel, daß man die Hand vor den Augen nicht sah. Das Hotel war etwa eine halbe Werst entfernt. Ich hatte mich nie vor Dieben oder vor Räubern gefürchtet, nicht einmal als kleiner Junge; und so auch jetzt nicht. Übrigens weiß ich nicht mehr, was ich unterwegs dachte; ich hatte überhaupt keinen einzigen Gedanken. Es war nur der grenzenlose Taumel aus Lust am Erfolg, am Sieg, an der Macht – ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll. Auch Polinas Bild tauchte immer wieder vor mir auf; ich erinnerte mich und war mir dessen bewußt, daß ich mich auf dem Weg zu ihr befand, im nächsten Augenblick bei ihr sein und erzählen, ihr zeigen werde … aber ich wußte inzwischen kaum noch, was sie mir vorhin gesagt hatte, warum ich aufgebrochen war, und all die Empfindungen, die mich erst vor kurzem, vor höchstens anderthalb Stunden, erfüllt hatten, kamen mir nun als längst vergangen, überholt, überlebt vor – zwischen uns nicht mehr erwähnenswert, weil jetzt alles von neuem beginnen würde. Schon am Ende der Allee packte mich plötzlich die Angst: »Wie, wenn man mich jetzt überfällt, umbringt und beraubt?« Mit jedem Schritt verdoppelte sich meine Angst. Beinahe rannte ich. Plötzlich
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