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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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beurteilen konnte, schied er vor Ablauf seines Vertrages aus. Elsie aus der Buchhaltung hausierte mit ein paar mageren Informationen. Leamas hatte sich den Rest seines Gehaltes in bar auszahlen lassen, und wenn Elsie überhaupt etwas von der Sache verstand, so bedeutete dies, dass er Schwierigkeiten mit seiner Bank hatte. Das Geldgeschenk an ihn war am Ende des Monats zu zahlen, sie konnte nicht sagen wieviel, aber es war keine vierstellige Zahl, armer Kerl. Sein Krankenversicherungsausweis war nachgeschickt worden. Von der Personalabteilung war ihm ein Schreiben zugestellt worden, fügte Elsie mit einem Nasenrümpfen hinzu, aber freilich konnte man nicht erfahren, was drinstand - nicht von der Personalabteilung.
    Dann war da eine Geldgeschichte. Es sickerte durch - wie üblich wußte niemand woher -, dass die plötzliche Entlassung von Leamas etwas mit Unregelmäßigkeiten in der Buchführung der Bankabteilung zu tun habe. Es habe eine größere Summe gefehlt - nach Aussage einer Dame mit blaugefärbtem Haar, die in der Telefonzentrale arbeitete, war die Summe nicht drei-, sondern vierstellig gewesen, und man hatte fast alles davon zurückbekommen, machte jetzt aber ein Zurückbehaltungsrecht auf seine Pension geltend. Andere wieder hielten das Gerücht für unglaubwürdig. Sie sagten, Alec hätte sicherlich eine bessere Methode gefunden, als sich mit der Buchhaltung der Zentrale anzulegen, wenn er schon die Kasse plündern wollte. Niemand hatte Zweifel daran, dass er dazu fähig gewesen wäre, aber man glaubte, er hätte es sicher besser gemacht. Wer jedoch von den schlummernden kriminellen Fähigkeiten Leamas' weniger überzeugt war, erinnerte an den großen Alkoholkonsum, an die Kosten, die immer mit dem Unterhalt eines getrennten Haushaltes verbunden sind, an den großen Unterschied zwischen den Auslandsbezügen und dem Gehalt, das Leamas zu Hause bekam, und vor allem erinnerten sie an die Versuchung, die der Umgang mit großen Summen heißen Geldes in dem Augenblick für einen Mann bedeuten mußte, da seine Tage beim Geheimdienst gezählt waren. Alle stimmten überein, dass Alec für immer erledigt war, wenn er seine Hände tatsächlich in den Honigtopf gesteckt hatte. Die Sozialabteilung würde sich nicht mehr um ihn kümmern, und die Personalleute stellten ihm sicherlich kein Zeugnis aus - oder ein so eiskaltes, dass es auch bei dem begeistertsten Arbeitgeber ein Frösteln hervorrufen müßte.
    Es gab nur eine Sünde, die die Personalabteilung einem nicht zu vergessen erlaubte: die Unterschlagung - und auch sie selbst würde diese Sünde nie mehr vergessen. Wenn es stimmte, dass Alec das Rondell bestohlen hatte, so müßte er den Bannfluch der Personalabteilung mit ins Grab nehmen - und sie würde nicht einmal das Leichentuch bezahlen.
    Ein paar Leute fragten sich nach seinem Ausscheiden noch ein oder zwei Wochen lang, was wohl aus ihm geworden war. Aber seine früheren Freunde hatten schon gelernt, sich von ihm fernzuhalten. Er hatte sich in einen grollenden Langeweiler verwandelt, der nichts anderes im Sinn hatte, als auf den Geheimdienst und dessen Verwaltung zu schimpfen oder seinem Ärger über jene Leute Luft zu machen, die er »Kommißknöpfe« nannte, weil sie - wie er sagte - die Organisation leiteten, als ob sie ein Regimentsklub sei. Er ließ nie eine Gelegenheit aus, über die Amerikaner und deren Abwehr herzuziehen. Er schien sie noch mehr zu hassen als die ostzonale Abteilung, die er nur selten oder gar nicht erwähnte. Er versäumte es nicht, regelmäßig anzudeuten, die Amerikaner seien es gewesen, die sein Netz aufs Spiel gesetzt hatten. Dieser Gedanke schien sich zu einer fixen Idee bei ihm zu entwickeln, und da er ein miserabler Gesellschafter geworden war, fanden die Versuche tröstlichen Zuspruchs nur spärlichen Dank, so dass ihn bald auch diejenigen seiner Bekannten abschrieben, die ihn stillschweigend geschätzt hatten. Leamas' Abschied kräuselte die Wasserfläche nur wenig - andere Winde und der Wechsel der Jahreszeiten ließen ihn bald vergessen sein.
    Seine kleine Wohnung war recht erbärmlich, die Wände waren braun getüncht und an ihnen hingen Fotografien von Clovelly. Die Fenster blickten auf die grauen Rückseiten von drei Lagerhäusern, auf die aus ästhetischen Gründen mit Teerfarbe Fenster aufgemalt waren. Über einem der Lagerhäuser wohnte eine italienische Familie, die sich nachts herumstritt und morgens Teppiche klopfte. Leamas besaß wenig, womit er die Räume

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