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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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verschönern konnte. Er kaufte einige Lampenschirme, um die Glühbirnen abzudecken, und zwei Paar Laken anstelle des Sackleinens, mit dem der Hausherr die Betten überzogen hatte. Den Rest tolerierte Leamas: die Blumenmustervorhänge, die weder eingefaßt noch eingesäumt waren, die braunen, abgenützten Teppiche und die plumpen Möbel aus dunklem Holz, die aus einer Seemannsherberge zu stammen schienen. Aus einem gelben, zerfallenen Badeofen erhielt er für einen Shilling heißes Wasser.
    Er brauchte Arbeit. Er hatte überhaupt kein Geld mehr. Deshalb mochte auch die Unterschlagungsgeschichte wahr sein. Die Angebote des Geheimdienstes, bei der Arbeitssuche behilflich zu sein, schienen Leamas lauwarm und merkwürdig unangemessen zu sein. Er versuchte zuerst, eine kaufmännische Arbeit zu bekommen. Eine Fabrik industrieller Klebstoffe zeigte Interesse für seine Bewerbung um den Posten eines Direktionsassistenten und Personalchefs. Das Zeugnis, das ihm der Geheimdienst ausgestellt hatte, war unzureichend, aber man nahm keinen Anstoß daran und verlangte keinen weiteren Befähigungsnachweis. Man bot ihm sechshundert Pfund im Jahr. Er blieb eine Woche, und in dieser Zeit durchdrang der üble Gestank faulenden Fischöls seine Kleider, sein Haar und setzte sich in seinen Nasenlöchern wie der Geruch des Todes fest. Kein noch so häufiges Waschen konnte ihn entfernen, so dass Leamas am Schluß sein Haar bis auf die Kopfhaut abschneiden ließ und zwei seiner besten Anzüge wegwarf. Er verbrachte eine weitere Woche mit dem Versuch, in den Vororten Londons Nachschlagewerke an Hausfrauen zu verkaufen, aber er war nicht der Mann, den Hausfrauen schätzten oder verstanden. Sie hatten nicht auf Leamas gewartet, gar nicht zu reden von seinen Enzyklopädien. Nacht für Nacht kehrte er mit seinem lächerlichen Musterband unter dem Arm müde in seine Wohnung zurück. Am Ende der Woche rief er die Firma an und sagte, dass er nichts verkauft habe. Sie waren nicht überrascht und erinnerten ihn nur an seine Verpflichtung, das Muster zurückzugeben, sobald er nicht mehr für sie arbeiten wollte, und legten auf. Wütend verließ Leamas die Telefonzelle, ließ den Musterband dort liegen und ging in die Kneipe, um sich für fünfundzwanzig Shilling zu betrinken, was er sich eigentlich nicht leisten konnte. Als er eine Frau anschrie, die ihn mitnehmen wollte, warf man ihn hinaus und verbot ihm, jemals wiederzukommen. Aber eine Woche später war alles vergessen. Leamas begann dort bekannt zu werden.
    Auch anderswo fing man an, seine graue, torkelnde Gestalt zu kennen, die eigentlich in ein feineres Wohnviertel zu gehören schien. Er sprach niemals und hatte keinen einzigen Freund, sei es ein Mann, eine Frau oder ein Tier. Man nahm an, dass er in Schwierigkeiten steckte, dass er höchstwahrscheinlich seiner Frau davongelaufen war. Beim Einkaufen wußte er nie den Preis der Ware, sooft er ihm auch gesagt worden war - er konnte sich nie daran erinnern. Wenn er Kleingeld suchte, klopfte er immer alle Taschen ab. Er vergaß stets, einen Korb mitzubringen, und kaufte jedesmal einen Tragbeutel. In seiner Straße mochte man ihn nicht, aber man fühlte fast ein gewisses Mitleid mit ihm. Man war auch der Ansicht, dass er schmutzig sei, weil er sich am Wochenende nicht rasierte und seine Hemden ganz schmierig waren. Eine Woche lang machte eine Mrs. McCaird aus der Sudbury Avenue bei ihm sauber, aber sie gab die Arbeit wieder auf, weil er nie ein einziges freundliches Wort mit ihr gesprochen hatte. Sie war in dieser Straße, deren Kaufleute einander versicherten, dass man für den Fall, Leamas wolle Kredit haben, im Bilde sein müsse, eine wichtige Informationsquelle. Mrs. McCaird war gegen Kredit. Leamas bekomme nie Post, sagte sie, und dies war ernst zu nehmen - darin waren sich alle einig. Er besitze keine Bilder und nur wenige Bücher, von denen eines ihrer Ansicht nach wohl schmutzig sein müßte, auch wenn sie sich dessen nicht ganz sicher sein konnte, da es in einer fremden Sprache geschrieben war. Sie vertrat die Meinung, er bestreite sein Leben von einem Rest seines Besitzes, dass aber dieser Rest zu Ende gehe. Sie wüßte, dass er jeden Dienstag die Arbeitslosenunterstützung abholte.
    Bayswater war gewarnt und brauchte keine zweite Warnung. Man hörte von Mrs. McCaird, dass er soff wie ein Loch, und der Kneipenwirt bestätigte es. Wirte und Zugehfrauen sind meist nicht so gestellt, dass sie ihren Kunden Kredit einräumen könnten, aber ihre

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