Der Spion, der aus der Kälte kam
Whisky.
»Und er mag es trotzdem nicht?«
»Es ist keine Frage moralischer Überlegungen. Er ist wie ein Chirurg, der kein Blut mehr sehen möchte. Es genügt ihm, wenn andere operieren.«
Leamas gab sich nicht zufrieden: »Sagen Sie mir, woher Sie so sicher wissen, dass wir mit dieser Operation unser Ziel erreichen werden. Woher wissen Sie, dass die Ostdeutschen dahinterstecken und nicht die Tschechen oder die Russen?«
»Seien Sie versichert«, sagte der Chef etwas schwulstig, »dass man sich darum gekümmert hat.«
Als sie zur Tür kamen, legte der Chef seine Hand leicht auf Leamas' Schulter. »Dies ist Ihr letzter Auftrag«, sagte er. »Nachher können Sie aus der Kälte hereinkommen. Wegen des Mädchens: Wollen Sie, das irgend etwas ihretwegen unternommen wird - Geld oder so etwas?«
»Wenn es vorüber ist. Ich werde dann selbst für sie sorgen.«
»Richtig. Es wäre sehr gefährlich, jetzt etwas zu tun.«
»Ich will, dass sie in Frieden gelassen wird«, wiederholte Leamas mit Nachdruck. »Ich will nur nicht haben, dass man mit ihr Geschichten macht. Ich wünsche nicht, dass ein Akt angelegt wird oder etwas Ahnliches. Ich will, dass sie vergessen wird.«
Er nickte dem Chef zu und schlüpfte in die Nachtluft hinaus. In die Kälte.
7KIEVER
Leamas kam am folgenden Tag mit zwanzig Minuten Verspätung zu seiner Verabredung mit Ashe. Er roch nach Whisky. Ashes Freude, Leamas zu sehen, war jedoch unvermindert. Er behauptete, er selbst sei erst in diesem Augenblick gekommen, er sei erst spät zur Bank gegangen. Er händigte Leamas einen Umschlag aus.
»Einzelne Scheine«, sagte Ashe. »Ich hoffe, dass es recht ist.«
»Danke«, erwiderte Leamas, »wir wollen einen trinken.« Er hatte sich nicht rasiert, und sein Kragen war schmutzig. Er rief den Kellner und bestellte Drinks, einen großen Whisky für sich und einen Gin für Ashe. Als die Drinks kamen und Leamas sich Soda ins Glas gießen wollte, zitterte seine Hand so sehr, dass er es fast danebenschüttete.
Sie aßen gut und tranken viel Alkohol dazu, wobei Ashe die Führung des Rennens übernahm. Wie Leamas erwartete, sprach er zuerst von sich, ein alter Trick, aber kein schlechter.
»Um ganz offen zu sein, bin ich kürzlich auf eine ganz gute Sache gestoßen«, sagte Ashe. »Ich schreibe als freier Mitarbeiter für Zeitungen im Ausland Englandreportagen. Nach Berlin ging es mir anfangs ziemlich dreckig. Man hatte meinen Vertrag nicht verlängert, und ich mußte einen Job annehmen - ich machte eine langweilige Reklamezeitschrift mit Freizeittips für Leute über sechzig. Gibt's noch was Schlimmeres? Das Blatt ging beim ersten Druckerstreik ein - ich kann dir nicht sagen, wie erleichtert ich war. Dann lebte ich eine Zeitlang bei meiner Mutter in Cheltenham. Sie hat ein Antiquitätengeschäft und läßt dir übrigens vielmals danken. Dann bekam ich einen Brief von einem alten Freund, Sam Kiever, der eine Agentur für kleine, speziell auf ausländische Blätter zugeschnittene Reportagen aus dem englischen Leben aufgemacht hatte. Du kennst diese Sachen - sechshundert Worte über den englischen Volkstanz und derlei Kram. Aber Sam hatte einen neuen Dreh: er verkaufte das Zeug übersetzt, und das macht einen Unterschied, weißt du. Man glaubt immer, jeder könnte einen Übersetzer bezahlen oder es selbst übersetzen. Aber wenn man nur noch eine halbe Spalte auf seiner Auslandsseite füllen muß, verschwendet man weder Zeit noch Geld für Übersetzungen. Sams Trick war es, mit den Redakteuren in persönlichen Kontakt zu kommen. Er zog wie ein Zigeuner durch Europa, der arme Kerl, aber es hat sich wirklich ausgezahlt.«
Ashe machte eine Pause. Offenbar wartete er darauf, dass Leamas die Einladung annehmen würde, über sich selbst zu sprechen. Aber Leamas überhörte das. Er nickte nur gelangweilt und sagte: »Verdammt gut.«
Ashe hatte eigentlich Wein bestellen wollen, aber Leamas sagte, er werde beim Whisky bleiben, und bis der Kaffee kam, war er schon beim vierten Doppelten. Er schien in schlechter Verfassung zu sein. Wie viele Trinker, schnappte er im letzten Augenblick, ehe das Glas seinen Mund berührte, nach dem Rand des Glases, als ob seine Hand ihn im Stich lassen und der Drink ihm entgegenkommen könnte.
Ashe verfiel für einen Augenblick in Schweigen.
»Du kennst Sam nicht, wie?« fragte er.
»Sam?«
Ein Ton von Gereiztheit kam in Ashes Stimme. »Sam Kiever, mein Chef. Ich hab' dir doch gerade von ihm erzählt.«
»War der auch in
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