Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
statt. Zahl und Einfluß der sowjetischen Verbindungsoffiziere wurden drastisch reduziert, man baute einige von der alten Garde aus ideologischen Gründen ab, und drei neue Männer stiegen auf: Fiedler als Chef der Abwehr, Jahn, der das Zuteilungsamt von Mundt übernahm, und - mit einundvierzig Jahren zum stellvertretenden Leiter der Operationen ernannt - Mundt selbst, der damit den größten Sprung getan hatte. Dann begann der neue Stil. Der erste Agent, den Leamas verlor, war ein Mädchen. Sie war nur ein kleines Glied in der Kette; sie wurde bei Kurierdiensten eingesetzt. Sie erschossen sie auf der Straße, als sie ein Westberliner Kino verließ. Die Polizei fand den Mörder nie, und Leamas neigte anfangs zu der Annahme, dass der Vorfall nicht im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit stand. Einen Monat später fand man einen ehemaligen Agenten aus Peter Guillams Netz - einen Dresdner Gepäckträger - tot und verstümmelt neben einem Eisenbahngleis. Leamas wußte, dass dies kein Zufall mehr war. Bald darauf wurden zwei Mitglieder unter Leamas' Kontrolle verhaftet und kurz und bündig zum Tode verurteilt. So ging es weiter: erbarmungslos und entnervend. Und jetzt hatten sie Karl, und Leamas verließ Berlin so, wie er gekommen war -ohne einen einzigen Agenten, der einen Groschen wert gewesen wäre. Mundt hatte gewonnen.
    Leamas war ein kleiner Mann mit dichtem eisengrauen Haar und der Statur eines Schwimmers. Er war sehr kräftig, wie man an seinem Rücken und an seinen Schultern erkennen konnte, an seinem Nacken und den klobigen Händen und Fingern.
    In Fragen der Kleidung ging er ebenso wie bei den meisten anderen Dingen allein vom Standpunkt der Nützlichkeit aus, und so hatte selbst die Brille, die er gelegentlich trug, eine stählerne Fassung. Er trug meist Anzüge aus Kunstfaserstoff, von denen keiner eine Weste besaß. Er bevorzugte Hemden mit Knöpfen auf den Kragenspitzen und weiche Lederschuhe mit Gummisohlen. Sein markantes Gesicht mit dem eigensinnigen Zug um den schmalen Mund wirkte anziehend. Seine Augen waren braun und klein, manche Leute sagten, sie seien irisch. Wäre er in einen Londoner Klub hineinspaziert, so hätte der Pförtner sicherlich nicht den Irrtum begangen, ihn für ein Mitglied zu halten. In einem Berliner Nachtklub gab man ihm gewöhnlich den besten Tisch. Er sah wie ein Mann aus, der Schwierigkeiten machen konnte, der auf sein Geld sah und nicht ganz ein Gentleman war. Die Stewardeß im Flugzeug dachte, dass er interessant sei. Sie tippte darauf, dass er aus Nordengland stamme, was möglich gewesen wäre und dass er reich sei, was er nicht war. Sie schätzte ihn auf etwa fünfzig Jahre, was ungefähr stimmte. Sie nahm an, dass er ledig sei, was nur halb der Wahrheit entsprach. Irgendwo, vor langer Zeit, hatte es eine Scheidung gegeben; irgendwo gab es inzwischen halbwüchsige Kinder, die ihr Taschengeld von einer etwas seltsamen Privatbank in der City bekamen.
    »Wenn Sie noch einen Whisky wünschen«, sagte die Stewardeß, »wäre es besser, Sie würden sich beeilen. Wir werden auf dem Londoner Flugplatz in zwanzig Minuten landen.«
    »Keinen mehr.« Er schaute sie nicht an; er blickte aus dem Fenster auf die graugrünen Felder von Kent.
    Fawley holte ihn vom Flugplatz ab und fuhr ihn nach London.
    »Der Chef ist ziemlich verärgert wegen Karl«, sagte er und schaute Leamas von der Seite an. Leamas nickte. »Wie geschah es?« fragte Fawley. »Er wurde abgeschossen. Mundt erwischte ihn.« »Tot?«
    »Ich denke schon, inzwischen. Das wäre das beste für ihn. Er schaffte es fast. Er hätte nie Eile zeigen dürfen, sie konnten ja nicht sicher sein. Die ›Abteilung‹ erreichte den Kontrollpunkt erst, als man ihn gerade durchgelassen hatte. Sie setzten die Sirene in Gang, und ein Vopo schoß auf ihn, zehn Meter vor der Linie. Auf dem Boden bewegte er sich noch etwas, dann lag er still.«
    »Armer Kerl.«
    »Genau«, sagte Leamas.
    Fawley mochte Leamas nicht, und wenn Leamas das wußte, so war es ihm gleichgültig. Fawley war ein Mann, der als Mitglied verschiedenen Klubs angehörte und repräsentative Krawatten trug. Er traf gern endgültige Feststellungen über das Können von Sportlern und legte Wert darauf, dass man ihn im internen Dienstverkehr mit seinem Rang anredete. Er betrachtete Leamas als verdächtig, während dieser ihn für einen Esel hielt.
    »Welcher Abteilung gehören Sie an?« fragte Leamas.
    »Personal.«
    »Gefällt's Ihnen?«
    »Faszinierend.«
    »Wohin komme ich jetzt?

Weitere Kostenlose Bücher